Beschneidungsurteil IV

(13.07.2012) Während zuvor Stimmen laut geworden waren, man wolle über die Frage der Beschneidung ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten, scheint sich jetzt eine breite Koalition der Befürworter einer gesetzlichen Regelung zu bilden: CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne wollen in seltener Einmütigkeit die Beschneidung gesetzlich erlauben. Ich erlaube mir eine Spekulation darüber, warum: ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema möchte man lieber vemeiden. Denn die Abwägung eines vermeintlichen religiösen Elternrechts auf Beschneidung ihrer unmündigen Kinder gegen das Recht der Kinder auf körperliche Unversehrtheit könnte durchaus zugunsten der Kinder und zuungusten der Religion ausfallen. Denn auch die Verfassung gestattet die ungestörte Entfaltung der Persönlichkeit gemäß deren subjektiver Glaubensüberzeugungen nur, solange sie nicht in Widerspruch zu anderen Wertentscheidungen der Verfassung geraten und aus ihrem Verhalten deshalb fühlbare Beeinträchtigungen für das Gemeinwesen oder die Grundrechte anderer erwachsen (BVerfG, Urteil vom 11.04.2972 – 2 BvR 75/71). Ein Urteil des Verfassungsgerichts, demzufolge die Beschneidung Minderjähriger unzulässig ist, will aber offenbar kein Politiker riskieren. Und sie werden eine gesetzliche Regelung finden, die den Weg zum Verfassungsgericht unmöglich macht – wo kein Kläger ist, ist kein Richter. Wie auch? Klagen kann nur ein Bürger, der sich in seinen Rechten verletzt fühlt – aber wer vertritt das Baby, das beschnitten werden soll? – daneben nur die Bundes- oder eine Landesregierung oder Abgeordnete, die zusammen 1/4 der Mitglieder des Bundestages stellen (§ 13 Nr. 6 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes). Der „Triumph antireligöser Eiferer“, als den die religiösen Eiferer das Kölner Urteil schon bezeichnet und es mit dem Holocaust verglichen haben, wird also ausbleiben. Auf der Strecke bleiben die Rechte unmündiger Kinder, die sich nicht wehren können. Denn wie eine gesetzliche Regelung aussehen soll, die die religiös motivierte Beschneidung eines Jungen erlaubt, es aber einer afrikanischen Mutter verwehrt, ihre Tochter rituell zu beschneiden, ist mir rätselhaft.

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