Furchtbare Juristen

(06.04.2013) Gestern fand in der Schleswig-Holsteinischen Landesvertretung in Berlin eine höchst denkwürdige Veranstaltung statt. Sie wurde vom Forum Justizgeschichte e.V. zu Ehren von Professor Ingo Müller ausgerichtet. Ingo Müller ist vor allem bekannt geworden durch sein erschütterndes Werk „Furchtbare Juristen„. Darin beschreibt und dokumentiert er in nicht zu überbietender Deutlichkeit, wie deutsche Staatsanwälte, Richter und Rechtsgelehrte erst die Zerstörung der Weimarer Republik betrieben, nach deren Ende in einem Hitler stets unterwürfig vorauseilendem Gehorsam den Rechts- in den Unrechts-, Mord- und Terrorstaat umformten und nach dessen blutigem Ende die Bestrafung der Mörder be- und verhinderten, wo es nur ging.

Die sehr gelungene und berührende Laudatio hielt Frau Prof. Eva Schumann vom rechtsgeschichlichen Institut der Universität Göttingen. Dort arbeitete sie u.a. das vernichtende Faktum heraus, dass der prozentuale Anteil der Richter, die Mitglieder der Nazipartei gewesen waren, nach dem Krieg sogar noch anstieg. Beispielsweise betrug er in Hamburg (nach 60 % während der Nazizeit) Ende der 50er Jahre über 90 %. Bei den Richtern in anderen Bundesländern und am Bundesgerichtshof verhielt es sich nicht viel anders.

Getoppt wurde der Vortrag von Frau Professor Schumann allerdings am Schluss durch den Vortrag von Professor Ingo Müller selbst. Er wies mit der ihm eigenen Freundlichkeit und doch zugleich mit Leidenschaft und sarkastischer Schärfe auf die in Deutschland immer noch endemische „Positivismus-Legende“ hin. Dieser bald nach dem 2. Weltkrieg aufgekommenen Legende zufolge war es der Rechtspositivismus eines Hans Kelsen und eines Gustav Radbruch , den die Schuld der Perversion des Rechts in der Nazidiktatur traf: Richter hätten unter Berufung auf den Buchstaben verbrecherischer Gesetze Menschenrechte mit Füßen getreten – nach den Lehren Radbruchs und Kelsens hätten sie ja gar nicht anders gekonnt.

Die Wahrheit ist jedoch: es war es genau umgekehrt. Die Juristen aus der Kaiserzeit, die die ganze Schärfe gesetzlicher Bestimmungen wie über den Hochverrat, den Landfriedensbruch und ähnlicher Straftatsbestände buchstabengenau vornehmlich gegen Sozialdemokraten und streikende Arbeiter angewandt hatten, fanden nach 1919 plötzlich die wortgetreue Anwendung der Gesetze, sofern sie nicht in ihr vordemokratisches Weltbild passte, keineswegs mehr angebracht. Sie schufen in freier Rechtsfortbildung contra legem Rechtsinstitute wie den des Staatsnotstandes und der Staatsnotwehr. Unter Berufung auf diese warfen sie Carl v. Ossietzky, der die völkerrechtswidrige Aufrüstung der deutschen Luftwaffe publik gemacht hatte, ins Gefängnis, während sie rechtsradikale Putschisten und Mörder mit Samthandschuhen anfassten und später die Morde Hitlers an seinen politischen Gegnern exkulpierten. Den Rechtsstaat bezeichnete Ernst Forsthoff als den „Prototyp einer Gemeinschaft ohne Ehre und Würde“, welchen „die nationalsozialistische Revolution hinweggefegt“ habe und dessen Formalismus nun abgelöst worden sei „durch echte, sachliche Unterscheidungen“ auf der Basis „von Freund und Feind, von volksgemäß und volksfremd, von deutsch und undeutsch“. Die „unbegrenzte Auslegung“ (so ein Ausdruck von Bernd Rüthers) konnte beginnen. 1935 wurde durch den novellierten § 2 des Strafgesetzbuches das Analogieverbot aufgehoben; bestraft werden konnte nun alles, was dem „gesunden Volksempfinden“ widersprach. Was das gesunde Volksempfinden war, definierten die Richter. Die sich derart unter den Nazis immer weiter vom Gesetzespositivismus entfernende Justizpraxis kulminierte schließlich in dem Volksgerichtshof Roland Freislers. Dieser sah es als seine Aufgabe, „nicht Recht zu sprechen, sondern die Gegner des Nationalsozialismus zu vernichten„. Tatsächlich waren die Anhänger des Rechtspositivismus wie Gustav Radbruch und Hans Kelsen erbitterte Gegner der Nazis gewesen. Die Positivismus-Legende dagegen strickten und verbreiteten groteskerweise nach dem Krieg einstige fanatische Hitleranhänger wie Forsthoff und Carl Schmitt , um nach dem Motto „haltet den Dieb“ jenen die Schuld für ihre eigenen Verbrechen in die Schuhe zu schieben und die Richter, die Blut an den Händen hatten, vom Vorwurf der Rechtsbeugung zu entlasten.

Ingo Müllers Buch soll, wie in der Veranstaltung zu hören war, Ende des Jahres neu aufgelegt werden. Das wäre zu wünschen, denn es gehört in die Hand eines jeden deutschen Juristen. Damit die deutsche Justiz nie wieder zu einer furchtbaren werde.

Kommentieren


− 6 = zwei