Keine Makulatur

(31.01.2014) „Drei berichtigende Worte des Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur“, so spottete der Staatsanwalt Julius von Kirchmann  in seinem berühmten Vortrag „Über die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“ 1847 vor der Juristischen Gesellschaft zu Berlin.

Die Strafprozessordnung (StPO) ist am 1. Februar 1877 in Kraft getreten. 1924 wurden die Geschworenen abgeschafft, aber ansonsten haben die wesentlichen Bestimmungen der StPO Kaiserreich, Weimarer Republik, Nazizeit und die 17 Legislaturperioden der Bundesrepublik überdauert.  Und das, obwohl einige berichtigende Worte des Gesetzgebers längst überfällig wären. Die Unzulänglichkeiten der StPO waren schon zur Kaiserzeit bekannt und wurden kritisiert. Zum Beispiel in dem 1913 erschienenen Werk „Justizirrtum und Wiederaufnahme“ des Rechtsanwalts Max Alsberg (1877-1933). Obwohl hundert Jahre alt, ist es so aktuell wie ehedem.

Dank der klaren Sprache des Autors ist die Arbeit auch für den Nichtjuristen ohne Probleme verständlich. Die darin geschilderten Fälle stehen den von Ferdinand von Schirach ersonnenen an Absonderlichkeit in nichts nach; ihnen gegenüber  haben sie den Vorteil der Authentizität. Aus dem Kapitel „Die Unvollkommenheit des Rechtsmittels der Revision“, (S. 33 – 46):

Die Konsequenz, die aus der Fehlbarkeit des Richters zu ziehen ist, kann nur eine sein: Das Recht muß die Mittel geben, um ein Urteil, das als irrig zu erweisen ist, zu beseitigen. (…)

Das ist denn auch der Standpunkt, den bereits die Motive zum revidierten Entwurf der Strafprozessordnung für den Preußischen Staat vom Jahre 1841 mit treffenden Worten betont haben. „Daß dem Inquisiten eine Appellation verstattet werde, ist“, so heißt es an der betreffenden Stelle der Motive, „eine unabweisliche Anforderung der Gerechtigkeit, mit welcher es füglich nicht vereinbar ist, die wichtigsten Güter des Menschen, Leben, Ehre und Freiheit, der Ansicht und dem Urteil eines einzigen Gerichtshofs zu überlassen, während für unerhebliche Gegenstände des Vermögens drei Instanzen zulässig sind“. Und doch kennt unser heutiges Recht die Berufung nur in den leichtesten Sachen, in den Sachen, für die das Schöffengericht in erster Instanz zuständig ist. In denjenigen Sachen, die vor den Strafkammern oder den Schwurgerichten in erster Instanz verhandelt werden, ist eine Berufung nicht gegeben. Hier kennt unser Recht und das Rechtsmittel der Revision.

Die Revision ist aber kein Rechtsmittel, das auch nur einigermaßen geeignet ist, der materiellen Wahrheit zum Siege zu verhelfen.

Die Wiederaufnahme, wie Alsberg im Weiteren zeigt, ebensowenig. Nichts, leider, deutet darauf hin, dass diese Sätze demnächst Makulatur werden.

Leider nicht unter Anklage: die Justiz

 

(30.01.2014) Der gestern ausgestrahlte  Fernsehfilm „Unter Anklage. Der Fall Harry Wörz“ war in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmererscheinung. Erstens wurden Anwälte, anders als in den meisten Produktionen, einmal nicht als arrogante, aalglatte und geldgeile Kotzbrocken dargestellt, die zu nichts anderem da sind, als jede Sauerei ihrer Mandanten zu decken.  Zweitens waren die Leistungen der Darsteller herausragend. Drittens offenbar auch die juristische Beratung, denn grobe fachliche Falschdarstellungen waren nicht zu verzeichnen. Und viertens wurde aus atemberaubender Nähe gezeigt, wie schnell jeder (ich wiederhole: jeder) Unbescholtene in die Fänge einer haarsträubend fahrlässig agierenden Justiz geraten und darin untergehen kann.

Die nachfolgende Diskussion bei Anne Will reichte bedauerlicherweise nicht an die Qualitäten des Films heran. Zwar war man sich einig darüber, dass der Fall ein Skandal gewesen sei und so etwas „eigentlich“ nicht passieren dürfte. Das war’s dann aber auch schon. Die Politiker Hertha Däubler-Gmelin und Wolfgang Bosbach schoben sich gegenseitig die Verantwortung für fehlende politische Initiativen zur gerechten Entschädigung von Justizopfern und zur Verbesserung der gesetzlichen Instrumente zur Vermeidung von Justizirrtümern zu, der Richter a.D. Heinrich Gehrke stellte schon durch die Art und Weise, wie er sich in den Sessel lümmelte und jede Äußerung anderer Diskussionsteilnehmer zunächst einmal durch ein überhebliches Grinsen quittierte, eine Provokation des anwesenden Justizopfers Wörz dar, und noch mehr dadurch, dass er meinte, eigentlich wäre doch alles in Ordnung, allenfalls die Entschädigung für Justizopfer sei mit 25 Euro pro Tag unberechtigter Haft wohl etwas gering.  Lediglich der anwesende Anwalt, einer der früheren Verteidiger von Wörz hielt ein wenig dagegen, zeigte jedoch auch nicht auf, welche gravierenden Mängel das Strafverfahren aufweist, die mit relativ einfachen gesetzgeberischen Maßnahmen behoben werden könnten, und die,  wenn sie denn hier Gesetz gewesen wären, das Skandalurteil und die Vernichtung eines Lebens (ähnlich wie in den Fällen von Horst Arnold,  Monika de Montgazon oder Ralf Witte) wahrscheinlich verhindert hätten:

Erster Mangel: Gegen die erstinstanzlichen Urteile bei schweren Straftaten ist keine Berufung möglich, sondern nur die Revision. Das heißt, es gibt gerade bei hohen Strafen keine Instanz, die die  Tatsachenfeststellungen des erstinstanzlichen Gerichts noch einmal nachprüft.  Das führt dazu, dass zwar bei einer Verurteilung wegen Eierdiebstahls das nächsthöhere Gericht noch einmal Zeugen hören, den Tatort besichtigen oder einen Sachverständigen beauftragen kann; bei einer Verurteilung zu lebenslanger Haft wegen eines Mordvorwurfs kann das Gericht es nicht. Es  kann allenfalls Fehler bei der Rechtsanwendung korrigieren. Um die geht es aber in Fällen wie diesem gar nicht, sondern um die Frage, ob der Angeklagte die ihm vorgeworfene Tat überhaupt begangen hat.

Zweiter Mangel: Anders als im Zivilprozess, in dem es meist nur um schnödes Geld, nicht aber um Freiheit und Leben eines Menschen geht, werden in Strafverfahren vor den Landgerichten (also dort, wo es um die schweren Strafvorwürfe geht) die Zeugenaussagen nicht protokolliert. Sie sind daher auch nicht Grundlage der Überprüfung des Urteils durch die nächste Instanz. Im Zivilprozess verläuft die Zeugenvernehmung so: Der Zeuge berichtet, der Richter wiederholt die Aussage des Zeugen und diktiert sie ins Protokoll und fragt den Zeugen dann noch einmal, ob er die Aussage des Zeugen richtig wiedergegeben habe. Hierdurch wird faktisch ausgeschlossen, dass eine Aussage anders ins Urteil einfließt, als der Zeuge sie gemacht hat. Im Strafprozess dagegen macht sich der Richter lediglich Notizen über die Zeugenaussage. Ob er den Zeugen richtig verstanden hat oder die Aussage so ins Urteil eingeflossen ist, wie sie gemacht wurde, ist jeder späteren Überprüfung entzogen. Zwar kann der Verteidiger einen Antrag auf wörtliche Protokollierung stellen, jedoch wird ein solcher Antrag regelmäßig abgeschmettert. Dieses Manko wirkt sich angesichts dessen, dass die Tatsachenfeststellungen der Richters in der strafrechtlichen Revision nicht mehr überprüft werden, besonders gravierend aus.  Hat im Zivilprozess der Richter einen entscheidungserheblichen Teil einer Zeugenaussage  unberücksichtigt gelassen, so ist dies regelmäßig ein Grund für die nächste Instanz, das Urteil aufzuheben oder abzuändern. Im Strafverfahren wird ein solcher Fehler entweder gar nicht erst erkannt oder er kann nicht berücksichtigt werden, weil das Revisionsgericht den vom Richter festgestellten Sachverhalt als gegeben ansehen muss.

 Dritter Mangel: Dem Gericht liegen in aller Regel die Spurenakten nicht vor, durch deren Kenntnis sich jedoch ein völlig abweichendes Bild des Sachverhalt ergeben kann.  Wird zum Beispiel eine Anklage darauf gestützt, dass dem Täter Daumen und Zeigefinger gefehlt haben müssen, würde sich natürlich der Tatverdacht gegen den zufällig in der Nähe des Tatorts aufgegriffenen Angeklagten, bei dem dies der Fall ist. dadurch vollkommen anders darstellen, wenn man wüsste, dass in der Nähe zwei weitere Männer waren, bei denen diese Finger ebenfalls fehlten.

 Vierter Mangel:  Obwohl zwei der in Frage kommenden Täter Polizisten sind, werden die Ermittlungen durch die örtliche Polizeibehörde durchgeführt, welcher diese Polizisten angehören. Das öffnet jeder Kumpanei und Einseitigkeit der Ermittlungen Tür und Tor.

 Sich als Justizpolitiker oder -angehöriger bei derart gravierenden Mängeln des Strafverfahrens hinzustellen und so zu tun, als wäre es eben Pech, wenn jemand zu Unrecht verurteilt wird, ist blanker Zynismus.  Das ganze verbunden mit der Haftentschädigung von 25 Euro pro Tag erlittener Freiheitsentziehung, die mehr eine Verhöhnung als eine Entschädigung des Justizopfers darstellt. Dafür sei eben kein Geld da, und es fehle auch an dem politischen Druck, hier etwas zu ändern, sagten die beiden anwesenden Politiker.  Eine Anfrage vo Anne Will beim Justizministerium hatte zuvor bestätigt, dass man dies dort „nicht auf dem Zettel“ habe.  Wolfgang Bosbach sagte, es würden im Jahr derzeit 90.000 Hafttage in Deutschland entschädigt. Also knapp über 2 Millionen EUR, die dem Rechtsstaat die Justizopfer wert sind.  Ein Skandal ohnegleichen, angesichts der Milliarden, die anderswo verpulvert werden. Zumal dieser Skandal den bestehenden Zustand auch noch perpetuiert. Kein Justizminister zerbricht sich den Kopf darüber, wie man Justizirrtümer verhindern kann, wenn die Almosen, mit denen Justizopfer verhöhnt werden, billiger sind als die Druckerschwärze, die es brauchte,  ein paar Paragraphen der  Strafprozessordnung zu ändern.

Die schreckliche Ungewissheit

(01.11.2013) „Immer diese schreckliche Ungewissheit“. Graf Bobby wusste ein Lied davon zu singen. Und jetzt auch das OLG Karlsruhe (Az.: 12 U 41/13). Es verhandelte über eine Grunddienstbarkeit, die es einem Eigentümer verbot,

 

in dem Gebäude eine Dirnenpension einzurichten und zu betreiben. Außerdem dürfen die Räume nicht an Bardamen und Personen, die der Unzucht nachgehen oder häufig wechselnden Geschlechtsverkehr betreiben, überlassen werden.

 

Das OLG war ratlos. Sollen die Dirnen da überhaupt nicht wohnen dürfen? Dürfen sie nur ihr Kuschelwerk dort nicht betreiben? Und die Bardamen? Reicht das Bardamentum für sich genommen aus, um sie von der Überlassung auszuschließen, oder nur dann, wenn auch sie der Unzucht und dem häufigen Geschlechtsverkehr frönen? Mit anderen Worten, bezieht sich der Relativsatz nur auf die Personen, oder auch auf die Bardamen? Sind Bardamen überhaupt Personen?

 

Fragen über Fragen – und schreckliche Ungewissheit. Das geht natürlich gar nicht, befand das OLG. Es erklärte die Grunddienstbarkeit mangels Bestimmtheit für unwirksam.

 

Ob die Dirnen jetzt zu ihrer Bleibe kommen, ist allerdings noch ungewiss. Das OLG hat die Revision zugelassen.

Uhlandgymnasium

(14.05.2013) Norbert Bourgeon in der NDR-Bücherwelt am 7. Mai:

Lothar Müller-Güldemeister zieht seine Leser von der ersten Minute an in Bann. Sein Ausflug in die 60er Jahre wirkt erstaunlich frisch, seine Charaktere unglaublich authentisch. „Uhland-Gymnasium“ ist mehr als nur ein Krimi: Das Buch ist eine Schulgeschichte mit Niveau, ein Schmöker mit Tiefgang, ein gesellschaftskritischer Heimatroman und vor allem eines: wirklich, wirklich spannend geschrieben.

Hier zu hören (ab Minute 20:50)

Der Witz des Jahrestages

(09.05.2013) Wowereit fordert von Mehdorn ein BER-Eröffnungskonzept.

ekz-informationsdienst

(22.04.2013) Der ekz-Informationsdienst gibt für ein paar tausend öffentlicher Bibliotheken Empfehlungen für den Ankauf neuer Bücher. Über das Buch „Uhlandgymnasium“ des Autors Lothar Müller-Güldemeister ist da zu lesen:

Stilistisch brillante, in jeder Zeile glaubwürdige Studie über die conditio humana, spannender als ein Thriller und von erzählerischer Vitalität

Dem will ich jetzt mal nicht widersprechen…

Ein Amtsschimmel in Altenburg (Thüringen)

(22.04.2013) Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche fassen, nicht einmal aufgrund eines vollstreckbaren Abgabenbescheides. Und einer nackten, seit 10 Jahren insolventen und bereits im Handelsregister gelöschten GmbH erst recht nicht. Der Bürgermeister sollte sowas eigentlich wissen. Bei der GmbH laufen nämlich seit Jahrzehnten Grundsteuern, Müll- und Straßenreinigungsgebühren auf, die in Ermangelung einer Tasche, in die er greifen kann, den Stadtsäckel nicht füllen – mittlerweile über zwanzigtausend Euro. In ein paar Jahren vierzigtausend, wenn das Grundstück nicht verkauft wird. Und verkauft wird es nicht, obwohl ein Käufer bereit steht, denn dazu müsste der Bürgermeister erklären, dass der Stadtsäckel darauf verzichtet, dem Käufer wegen der rückständigen Abgabenforderungen in die Tasche zu greifen. Aber nein, nein, nein, das will er nicht, der Bürgermeister von Altenburg Michael Wolf (SPD). Basta. Nicht einmal, wenn der Käufer bereit ist, einen Teil davon zu übernehmen. Auf die Frage, warum nicht, wiehert der Amtsschimmel sinngemäß, da könnte ja jeder kommen. Also werde ich jetzt mein Amt als gerichtlich bestellter Nachtragsliquidator der insolventen GmbH niederlegen und Herr Bürgermeister darf die nächsten zwanzig Jahre weiter nach der Tasche der nackten GmbH suchen. Und dabei ein bisschen wiehern!

Was mir hierzu einfällt, ist leider nicht mehr druckreif

(11.04.2013) darum lasse ich es so stehen, wie es da steht.

Ein Brief an den Piper Verlag

(07.04.2013) Sehr geehrte Damen und Herren,

vor einigen Tagen war Ihr Brief vom 20.03.2013 in meinem Kasten. Darin durfte ich lesen, dass Sie für das Manuskriptangebot, das ich Ihnen vor zehn Monaten gemacht habe, keinen geeigneten Platz in Ihrem Programm sehen. Und Sie wünschen mir bei der Suche nach einem geeigneten Verlag Glück und viel Erfolg.

Für diese Wünsche darf ich mich bedanken. Auch wenn sie zu dem Glück und Erfolg nichts mehr beitragen werden. Der Roman ist jetzt im Februar bei Klöpfer und Meyer erschienen. Einem Verlag, der keine zehn Monate gebraucht hat, um einen freundlichen, höflichen und mit Sorgfalt formulierten Brief zu beantworten. Das – nicht Ihre Ablehnung meines Manuskriptangebotes – ist es, was mich an Ihrem Schreiben geärgert hat und was ich hier einmal loswerden möchte.

Sie bekommen sicherlich viele Manuskripte angeboten und es dürfte eine anspruchsvolle Aufgabe sein, diese Flut zu bewältigen. Aber auch eine Aufgabe, vor der alle Verlage stehen und die nicht neu sein kann. Und nicht nur für Verlage. Auch andere Firmen bekommen geschäftliche Anfragen, aus denen sie die geeigneten aussieben müssen, Bitten, Angebote abzugeben, Initiativbewerbungen, vieles mehr. Uns als Anwaltskanzlei werden täglich Mandate angetragen, die wir aus verschiedensten Gründen nicht übernehmen können oder wollen. Das heißt aber nicht, dass wir die Rechtssuchenden zehn Monate warten und dann mit ein paar zusammengeschusterten Textbausteinen wissen lassen, sie interessierten uns nicht als Mandanten und wir wünschten ihnen auf der Suche nach einem geeigneten Anwalt viel Erfolg. Sondern sie werden am gleichen, spätestens am nächsten Tag zurückgerufen oder per E-Mail kontaktiert.

Etwas in der Art, zuallermindest eine Eingangsbestätigung per Mail mit einer Nachricht, wie Sie mit meinem Angebot weiter zu verfahren gedenken, hätte ich erwartet. Das ist nicht nur Usus im Geschäftsleben, sondern entspricht den Mindestgeboten der Höflichkeit. Sie mögen nun retourkutschieren, dass die Höflichkeit auch mir geboten hätte, Ihnen wenigstens mitzuteilen, dass mein Buch anderweitig verlegt wird. Das habe ich in der Tat bei den Verlagen gemacht, die sich bei mir gemeldet haben und bei denen ich deshalb nicht davon ausgehen musste, dass mein Schreiben bereits im Papierkorb gelandet ist.

Eine weitere Quelle meiner Verärgerung sind Worthülsen wie „keinen geeigneten Platz in unserem Programm“. Damit verkaufen Sie den Manuskripteinsender doch geradezu für dumm. Wenn tatsächlich kein Platz wäre, brauchte es für diese Aussage keine 10 Monate. Sie erinnert mich vielmehr an die eines Diskotheken-Türstehers, der die Einlassbegehrenden ruppig bescheidet, der Club sei voll, während direkt daneben die Promis reingelassen werden. Wie kommen Sie eigentlich auf die Idee, dass ein Autor den Anblick des Satzes „wir wollen Sie nicht“ ebensowenig ertragen könne wie der Mann vom Lande den Anblick des dritten Türhüters? Ich jedenfalls kann mir nicht vorstellen, dass Ihr Lektorat einem Autor derart verschwurbelte Sätze in einem Romanmanuskript unangestrichen lassen würde, wie Sie sie in Ihrem Brief verwenden.

Freilich stehen Sie mit Ihrer von mir bedauerten Geschäftspraxis nicht allein im Literaturbetrieb. Andere Verlage haben sich ähnlich benommen und von zehn Literaturagenturen, die ich angeschrieben habe, hat gar nur eine einzige es für nötig gehalten, sich überhaupt zurückzumelden. Das macht allerdings die Sache nicht besser.

Auf Ihre abschließende Frage, ob Sie mir meine Leseprobe zurückschicken sollen, antworte ich schlicht: nein danke, können Sie wegschmeißen.

Mit freundlichen Grüßen

Furchtbare Juristen

(06.04.2013) Gestern fand in der Schleswig-Holsteinischen Landesvertretung in Berlin eine höchst denkwürdige Veranstaltung statt. Sie wurde vom Forum Justizgeschichte e.V. zu Ehren von Professor Ingo Müller ausgerichtet. Ingo Müller ist vor allem bekannt geworden durch sein erschütterndes Werk „Furchtbare Juristen„. Darin beschreibt und dokumentiert er in nicht zu überbietender Deutlichkeit, wie deutsche Staatsanwälte, Richter und Rechtsgelehrte erst die Zerstörung der Weimarer Republik betrieben, nach deren Ende in einem Hitler stets unterwürfig vorauseilendem Gehorsam den Rechts- in den Unrechts-, Mord- und Terrorstaat umformten und nach dessen blutigem Ende die Bestrafung der Mörder be- und verhinderten, wo es nur ging.

Die sehr gelungene und berührende Laudatio hielt Frau Prof. Eva Schumann vom rechtsgeschichlichen Institut der Universität Göttingen. Dort arbeitete sie u.a. das vernichtende Faktum heraus, dass der prozentuale Anteil der Richter, die Mitglieder der Nazipartei gewesen waren, nach dem Krieg sogar noch anstieg. Beispielsweise betrug er in Hamburg (nach 60 % während der Nazizeit) Ende der 50er Jahre über 90 %. Bei den Richtern in anderen Bundesländern und am Bundesgerichtshof verhielt es sich nicht viel anders.

Getoppt wurde der Vortrag von Frau Professor Schumann allerdings am Schluss durch den Vortrag von Professor Ingo Müller selbst. Er wies mit der ihm eigenen Freundlichkeit und doch zugleich mit Leidenschaft und sarkastischer Schärfe auf die in Deutschland immer noch endemische „Positivismus-Legende“ hin. Dieser bald nach dem 2. Weltkrieg aufgekommenen Legende zufolge war es der Rechtspositivismus eines Hans Kelsen und eines Gustav Radbruch , den die Schuld der Perversion des Rechts in der Nazidiktatur traf: Richter hätten unter Berufung auf den Buchstaben verbrecherischer Gesetze Menschenrechte mit Füßen getreten – nach den Lehren Radbruchs und Kelsens hätten sie ja gar nicht anders gekonnt.

Die Wahrheit ist jedoch: es war es genau umgekehrt. Die Juristen aus der Kaiserzeit, die die ganze Schärfe gesetzlicher Bestimmungen wie über den Hochverrat, den Landfriedensbruch und ähnlicher Straftatsbestände buchstabengenau vornehmlich gegen Sozialdemokraten und streikende Arbeiter angewandt hatten, fanden nach 1919 plötzlich die wortgetreue Anwendung der Gesetze, sofern sie nicht in ihr vordemokratisches Weltbild passte, keineswegs mehr angebracht. Sie schufen in freier Rechtsfortbildung contra legem Rechtsinstitute wie den des Staatsnotstandes und der Staatsnotwehr. Unter Berufung auf diese warfen sie Carl v. Ossietzky, der die völkerrechtswidrige Aufrüstung der deutschen Luftwaffe publik gemacht hatte, ins Gefängnis, während sie rechtsradikale Putschisten und Mörder mit Samthandschuhen anfassten und später die Morde Hitlers an seinen politischen Gegnern exkulpierten. Den Rechtsstaat bezeichnete Ernst Forsthoff als den „Prototyp einer Gemeinschaft ohne Ehre und Würde“, welchen „die nationalsozialistische Revolution hinweggefegt“ habe und dessen Formalismus nun abgelöst worden sei „durch echte, sachliche Unterscheidungen“ auf der Basis „von Freund und Feind, von volksgemäß und volksfremd, von deutsch und undeutsch“. Die „unbegrenzte Auslegung“ (so ein Ausdruck von Bernd Rüthers) konnte beginnen. 1935 wurde durch den novellierten § 2 des Strafgesetzbuches das Analogieverbot aufgehoben; bestraft werden konnte nun alles, was dem „gesunden Volksempfinden“ widersprach. Was das gesunde Volksempfinden war, definierten die Richter. Die sich derart unter den Nazis immer weiter vom Gesetzespositivismus entfernende Justizpraxis kulminierte schließlich in dem Volksgerichtshof Roland Freislers. Dieser sah es als seine Aufgabe, „nicht Recht zu sprechen, sondern die Gegner des Nationalsozialismus zu vernichten„. Tatsächlich waren die Anhänger des Rechtspositivismus wie Gustav Radbruch und Hans Kelsen erbitterte Gegner der Nazis gewesen. Die Positivismus-Legende dagegen strickten und verbreiteten groteskerweise nach dem Krieg einstige fanatische Hitleranhänger wie Forsthoff und Carl Schmitt , um nach dem Motto „haltet den Dieb“ jenen die Schuld für ihre eigenen Verbrechen in die Schuhe zu schieben und die Richter, die Blut an den Händen hatten, vom Vorwurf der Rechtsbeugung zu entlasten.

Ingo Müllers Buch soll, wie in der Veranstaltung zu hören war, Ende des Jahres neu aufgelegt werden. Das wäre zu wünschen, denn es gehört in die Hand eines jeden deutschen Juristen. Damit die deutsche Justiz nie wieder zu einer furchtbaren werde.