Der Sohn des Staatsanwalts

(06.02.2014) Im Jahr 1962 klagte die Tübinger Staatsanwaltschaft neun Tübinger Gymnasiasten vor dem Jugendschöffengericht an. Die Mitglieder der sogenannten „Rotbart-Bande“ hatten gestohlen, waren in Häuser und Läden eingebrochen und hatten schließlich eine Bank überfallen. Sie wurden zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt.

 

Chef der Tübinger Staatsanwaltschaft war der Ltd. Oberstaatsanwalt Krauß. Es war derjenige, der – dreizehn Jahre zuvor –  bei der letzten Hinrichtung in Westdeutschland die markigen Worte ausgesprochen hatte: „Scharfrichter, ich übergebe Euch den Richard Schuh mit dem Befehl, ihn dem Urteil gemäß zu richten vom Leben zum Tode.“ Er ließ anlässlich des „Rotbart-Prozesses“ in der „Tübinger Chronik“ folgende Presseerklärung veröffentlichen:

Frei erfunden

Die von Zeit zu Zeit immer wieder umgehenden Gerüchte, an den Straftaten der Tübinger Oberschüler, von denen sich neun zur Zeit vor der Jugendkammer in Tübingen zu verantworten haben, seien außer den Angeklagten noch die Söhne bekannter Tübinger Persönlichkeiten beteiligt gewesen, sind frei erfunden und unwahr […].

Krauß, Oberstaatsanwalt

Nachdem die Geschichte der „Rotbart-Bande“ mich zu meinem Roman „Uhlandgymnasium“ inspiriert hatte, erreichen mich immer wieder Briefe und Anrufe, die Zweifel an diesem Dementi aufkommen ließen. Zuletzt dieser Brief eines Richters:

Als ich 1972 als Richter in einer Großen Strafkammer des Landgerichts Tübingen arbeitete, erzählte mir ein älterer Kollege, die Staatsanwaltschaft habe seinerzeit die „Rotbart“-Akten aufgeteilt, nämlich in einen zweiten Band für die Prominentensöhne. Dieser zweite Band sei dann „leider“ verschwunden, weshalb insoweit nicht angeklagt worden sei. Das sei insofern besonders auffällig gewesen, als die Staatsanwaltschaft ja immer auch Zweitakten anlege und auch die verschwunden seien. Auch hätte man die Akten ja anhand deir Kripo-Akten rekonsturieren können, wenn man gewollt hätte. Unter den Prominentensöhnen sei auch der Sohn des Tübinger Ltd. Oberstaatsanwalts Krauß gewesen.“

In einer ergänzenden E-mail fügte der Richter hinzu:

Die Information über die Aktenteilung hatte ich von meinem älteren, sehr geschätzten, sehr schwäbischen Kollegen Otto Vötsch [Anm.: Er war einer der Ersatzrichter in den Stammheim-Verfahren gegen die RAF-Mitglieder Baader, Ensslin u.a.] erhalten. Er ist leider schon lange tot. Ein weiterer Beschuldigten-Name in diesem Band 2 lautete: „Peter K.“.

„K.“ steht in diesem Fall für ein hochrangiges Mitglied der damaligen Landesregierung von Baden-Württemberg.

Am kommenden Sonnabend, 8. Februar 2014, findet übrigens um 19:00 im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Tübingen eine Lesung aus „Uhlandgymnasium“ und aus dem Roman „Wem sonst als Dir“ von Uta-Maria Heim im Rahmen eines SWR4-Studiotalks statt. Der Leiter des Tübinger Landgerichts wird an dem Talk teilnehmen. Der genannte Richter hat sein Kommen ebenfalls angesagt.

Kommentieren


sieben × = 21