Ein Name verschwindet. Zu Recht.

(31.10.2021) Vor einem Jahr habe ich hier über den Palandt geschrieben und über seinen unsäglichen Namensgeber. Man muss sicher nicht die heutigen Maßstäbe an die Beurteilung historischer Persönlichkeiten anlegen. Darum lehne ich es ebenso ab, ständig Straßennamen umzubenennen oder Bücher umzuschreiben, in denen heute missliebige Bezeichnungen vorkommen. Aber dass jahrelang noch die Namen von Nazi-Juristen auf Gesetzeskommentaren prangten, war einer demokratischen Rechtskultur unwürdig. Jetzt hat der Beck-Verlag mit der unschönen Tradition gebrochen und die Namen aus ihren Standardkommentaren gelöscht. Der „Palandt“ heißt jetzt „Grüneberg“ nach seinem jetzigen Herausgeber Dr. Christian Grüneberg, Richter am Bundesgerichtshof.

Der BGH setzt dem Spuk ein Ende

(13.07.2021) Sie haben eine Schadensersatzforderung von 1.000 EUR gegen ein Unternehmen, und das Unternehmen bestreitet alles? Dann versuchen Sie einmal, einen kompetenten Anwalt zu finden, der bereit ist, Sie für die gesetzlichen Gebühren von rund 220 Euro zu vertreten. Und Sie kriegen – im Gegensatz zu dem Unternehmen – nicht nur die Mehrwertsteuer auf die Anwaltskosten nicht zurück, sondern können Ihre Prozesskosten auch nicht von Ihrem steuerpflichtigen Einkommen absetzen. Kein Wunder, dass kaum jemand seine berechtigten Ansprüche gegen ein Unternehmen einklagt. Und kein Wunder, dass die Unternehmerverbände sich gegen alles wehren, was den Verbrauchern den Gang zum Gericht erleichtern würde.

So hat die Industrie sich jahrelang gegen die von ihr als Klageindustrie verunglimpften Verbraucherschützer gewehrt. Mit unermüdlicher Lobbyarbeit und Dutzenden bezahlter Professorengutachten, die uns weismachen wollten, dass eine Firma, die tausend Ansprüche von tausend Geschädigten gesammelt einklagt, diese Geschädigten ganz schlimm ausbeutet und gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstößt. Und dass deswegen jeder von den tausend Geschädigten mit seinem Anspruch – siehe oben – nur einzeln vor Gericht ziehen dürfe.

Leider haben die Instanzgerichte diese spookigen Argumente nur zu gerne gehört. Haben sie es ihnen doch häufiig erspart, komplizierte Tat- und Rechtsfragen entscheiden zu müssen. Wie im Fall geschädigter Air-Berlin-Kunden gegen den früheren CEO der Air Berlin, der zwar seine eigenen Gehaltsansprüche mit einer Millionen-Bankbürgschaft absichern ließ, nicht aber die Ansprüche von Fluggästen, die ihre Tickets vorausbezahlt haben und nach der absehbaren Pleite der Fluggesellschaft ihrem guten Geld hinterherschauten.

Die von mir gegründete Airdeal Rechtsdienstleistungs GmbH hat sich im Jahr 2018 die Ansprüche geschädigter Fluggäste der Air Berlin abtreten lassen und Herrn Winkelmann auf Schadensersatz wegen Insolvenzverschleppung verklagt. Die in diesen Verfahren gewechselten Schriftsätze füllen etliche Leitzordner. Wenn ein Anwalt sie in einem Verfahren mit einem Streitwert von 1.000 EUR hätte bearbeiten müssen, hätte seine gesetzliche Vergütung gerade noch den Stundensatz eines Tagelöhners in Burkina Faso erreicht. Das Landgericht Berlin und das Kammergericht mochten sich mit den Papierstößen nicht befassen. Sie haben die Klage abgewiesen. Mit der lapidaren Begründung, unser Geschäftsmodell wäre unzulässig und die Abtretungen an uns wären unwirksam.

Heute hat der Bundesgerichtshof dem Spuk ein Ende gesetzt. Das Sammelklage-Inkasso ist zulässig, basta! Das ist – so wie es schon meine Erfindung der Prozessfinanzierung vor 20 Jahren war – ein toller Schritt in Richtung Verbraucherrechte und Waffengleichheit im Prozess. Gut so!!

Was Recht ist

(05.12.2020) Diese Namen wecken in mir Erinnerungen: Danckelmann, Degenhart, Heinrichs, Keidel, Lauterbach, Putzo und Thomas. Erinnerungen an durchgearbeitete Nächte, in denen ich mit meiner klapprigen Schreibmaschine die Namen in die Fußnoten zu den Hausarbeiten für die Pflichtscheine im BGB hämmern musste. Sie waren die Bearbeiter der 29. Auflage des „Palandt“, der ersten, die ich gekauft habe. Ich wusste nicht viel über sie, damals. Alles Männer übrigens.

Heute kam die 80. Auflage des „Palandt“ vom Buchhändler. Von den alten Namen ist keiner mehr dabei. Wie auch, fünfzig Jahre später?

Jedes Jahr zum Beginn der Adventszeit erscheint eine neue Auflage dieses Standardkommentars zum BGB  – zum Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896, aber in dessen aktuellster Fassung. Dicker als die Bibel. 3200 Seiten, drei Millionen Worte. Ein Buch, ohne das in Deutschland keine juristische Bibliothek, kein Anwalt, kein Richter, kein Jurastudent auskommt. Jedes Jahr erfordert eine neue Kommentierung. Jedes Jahr fügen neue Kommentatoren (darunter inzwischen zwei Frauen), gesellschaftliche Entwicklungen, Gesetzesnovellen, neue Grundsatzurteile oder juristische Innovationen wie Prozessfinanzierung und Legaltech, neue regelungsbedürftige Sachverhalte wie CoVid19, die Informationstechnologie, die Elektromobilität eine neue Schicht hinzu wie ein neues Erdzeitalter einer geologischen Formation, ihren Mineralien und Fossilien. Das Gewicht des Neuen presst das Alte zusammen. Versteinert es oder zerstäubt es. Fast wie im richtigen Leben.

Zu den Schichten gehört auch die Zeit, in der „der Palandt“ entstand. Nämlich im Jahr 1938. Herausgeber war Otto Palandt, damals Leiter des Reichsjustizprüfungsamtes, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, den deutschen juristischen Nachwuchs im Sinne des Nationalsozialismus auszubilden. Männer übrigens, Frauen hielt Palandt für ungeeignet, das Recht im Sinne des Führers zu wahren. Auch die Namen Danckelmann, Keidel und Lauterbach standen für Justizkarrieren im Dritten Reich. Karrieren, die sich ebenso stromlinienförmig und kaum gebrochen in der Bundesrepublik fortsetzten wie sich der Name Palandt bis in die heutige Zeit gerettet hat.

Eigene Meinungen vertritt „der Palandt“ seit der Nazizeit nicht mehr. Für den Juristen fasst er zuverlässig, knapp und schnell auffindbar das zusammen, was der Bundesgerichtshof und die Oberlandesgerichte zu den Fragen entschieden haben, die das Gesetz nicht eindeutig beantwortet. Richter richten nach dem, was im Palandt steht, weil sie nicht wollen, dass ihre Urteile von den Obergerichten wieder aufgehoben werden. Anwälte richten sich nach dem, was „im Palandt“ steht, weil sie ihren Mandanten die Rechtslage erklären müssen. Denn die Rechtslage ist das, was das Gericht wahrscheinlich über ihren Fall urteilen wird.

Oliver Wendell Holmes (1841-1935, lange Jahre Richter am Supreme Court of the United States): Recht ist nichts anderes als eine Prognose darüber, was ein Gericht entscheiden wird.

Was ist das Recht? In Deutschland ist es wohl vor allem „der Palandt“.


Jetzt Maskenpflicht bei Bankraub

(25.04.2020)

Die Regierung hat angeordnet, dass Bankräuber ab sofort maskenpflichtig sind. Bei Banküberfällen, so ein Regierungssprecher, seien besonders Risikogruppen gefährdet, da es überwiegend alte Leute seien, die noch Bankfilialen aufsuchen, weil sie ihre Bankgeschäfte nicht online erledigen, sondern ihre Überweisungen noch von den „Bankbeamten“ ausfüllen ließen. Bei dem bei Banküberfällen üblichen Ausruf „Dies ist ein Überfall“ könnten ohne Maskenbenutzung zahlreiche Coronaviren freigesetzt werden, zumal diese Rufe wegen der Schwerhörigkeit vieler älterer Bankkunden besonders lautstark ausgeführt werden und auf Nachfragen („Ich habe Sie leider immer noch nicht verstanden“) manchmal sogar mehrfach wiederholt werden müssten. Die Nichtbeachtung der Maskenpflicht soll mit empfindlichen Bußgeldern belegt werden, die Polizei ist angewiesen, diese wenn möglich an Ort und Stelle zu kassieren. Dies stelle keine unzumutbare Härte dar, so der Regierungssprecher, da die Bankräuber nach dem Überfall ja in der Regel ausreichend liquide seien. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sei gewahrt. Man verlange schließlich nur etwas, was ein umsichtiger Bankräuber eigentlich schon von sich aus tun würde. Etwaigen Verfassungsbeschwerden von Bankräubern gegen die Maskenpflicht werden daher in Fachkreisen nur mäßige Chancen eingeräumt. Nach dem Ende der Corona–Krise würde die Maskenpflicht ohnehin wieder aufgehoben werden. Danach, so der Sprecher, könnten „Bankräuber wieder tun und lassen, was sie wollen“.

Wer hat, dem wird gegeben – von Rot-Rot-Grün


(06.03.2020) Am 22. Februar ist das Berliner Mietendeckelgesetz im Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet worden und damit in Kraft getreten.

Davon dass es nach Einschätzung der meisten Verfassungsrechtler schon deshalb nichtig ist, weil der Bundesgesetzgeber die Materie abschließend geregelt hat und daher dem Land gar keine Gesetzgebungskompetenz zusteht, will ich gar nicht erst reden, das wird das Bundesverfassungsgericht entscheiden.

Weitaus skandalöser ist: dieses angeblich soziale Gesetz ist eine krasse Mogelpackung. Wer wird aufgrund dieses Gesetzes Anspruch auf Mietsenkungen haben? Die Malocher, Polizisten, Krankenschwestern, Hartzies und Alleinerziehenden, die in 2-Zimmer-Wohnungen in Lichtenberg, Marzahn oder Gropiusstadt hausen? Weit gefehlt. Es ist ausschließlich die Schickeria, die in 200-qm-Altbauwohnungen mit Lietzenseeblick residiert und in schnieken Lofts in Grunewald, Mitte und Tiergarten. Also vermutlich genau die gutverdienenden Hipster, Yuppies und die rolextragende rotrotgrüne Politprominenz, die auf keiner Champagnerparty fehlt und sich darin gefällt, links zu reden und rechts zu leben. Die anderen sparen keinen Cent, aber sie bekommen dafür wohl in ihren Stadtvierteln demnächst wieder so eine romantische Vintage-Anmutung wie einst im Arbeiter- und Bauernparadies, weil sich von den gedeckelten Mieten keine bröckelnden Fassaden und undichten Dächer mehr reparieren lassen.

Diese Kampagne ist zum Fremdschämen, Frau Lambrecht!

(15.10.2019) „Wir wollen den Rechtsstaat sichtbarer und verständlicher machen und das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken“, lässt die Bundesjustizministerin Lamprecht herausposaunen.

Eine weitaus bessere Möglichkeit, den Rechtsstaat sichtbarer und verständlicher zu machen, wäre es, dafür zu sorgen, dass er funktioniert. Zum Beispiel durch eine angemessene Personalausstattung der Gerichte. Wenn ich um 10 Uhr vormittags bei Gericht anrufe und die Ansage höre, „Sie rufen außerhalb der Sprechzeiten an, diese sind von 9 bis 13 Uhr“; wenn eine Klage mehr als zwei Monate in der Eingangsregistratur der Gerichte schmort, bevor sie überhaupt ein Aktenzeichen bekommt; wenn die Gerichtszahlstelle beim Landgericht Berlin seit Monaten „aus organisatorischen Gründen vorübergehend geschlossen“ ist und wenn die Zahlstelle beim Amtsgericht Charlottenburg nur Bargeld, aber keine Kartenzahlung akzeptiert; wenn selbst Gerichtstoiletten seit Monaten wegen Defekt nicht genutzt werden können – dann denke ich, die 30 Millionen Euro, die diese peinliche Kampagne kostet, wären woanders weitaus besser aufgehoben.

Von den glatten Propagandalügen darin rede ich gar nicht erst…

19. Juli 1999

(19.07.2019) Heute vor 20 Jahren ging die FORIS AG an die Börse.


Hier meine Erinnerung an diesen Tag (ein Kapitel aus meinem Buch „Das Recht und sein Preis -Der Fall Foris“):

EIN ZELT VOR DER BÖRSE
Ein Teil der Berliner Foris-Mannschaft ist schon als Vorauskommando in Frankfurt. Der Rest sammelt sich am Sonntagnachmittag, dem Tag davor, am Flughafen Tempelhof.
Wir sind ungefähr zehn Leute, die sich in die schmalen Zwei- erreihen der Fokker zwängen. Wir reisen mit einer der vielen Billigflug- linien, die damals kometengleich aufsteigen und wieder verschwinden. Diese versucht – im Ergebnis erfolglos – der Lufthansa mit Kampf- preisen auf ihrer Renn- und Profitstrecke Berlin-Frankfurt Kunden abzujagen. Wir schwitzen schon in der nichtklimatisierten Abflughalle, wir schwitzen noch mehr, als das Flugzeug auf der Startbahn auf seine Freigabe vom Tower wartet.


Die Sonne knallt auf das Tempelhofer Feld und das spangen- förmige Flughafengebäude und leuchtet die von dem riesigen Vordach gebildete offene Halle bis in die hintersten Winkel aus. So, als wollte sie dessen megalomaner Architektur die Geheimnisse entreißen, die sich an regenverhangenen Abenden in ihren Mauern und Schatten verborgen haben, in der ewigen Kulisse düsterer Schwarzweißfilme über Nazizeit und Kalten Krieg. Heute bin ich selbst die Hauptfigur in einem Thriller, und er ist Realität.


In Frankfurt treffe ich Rollmann in unserem Hotel. Wir gehen zu Fuß die paar Schritte zur Börse hinunter. Auf dem Vorplatz wird gerade das Zelt aufgebaut. Das Zelt, die Genehmigung dafür, die Be- stuhlung und das Catering hat diesmal einer der Berliner Mitarbeiter organisiert. Alles scheint zu funktionieren. So gibt es morgen nicht mehr viel zu tun. Wir haben ein paar hundert Flugblätter im DIN A 4 Format vorbereitet, die nachher zusammengefaltet wie unsere Pros- pekte aussehen, vorne der Foris-Schriftzug mit dem Slogan „Foris finanziert Prozesse“ über einer Foris-blauen Fläche, hinten das Dop- pelporträt von Rollmann und mir mit unseren Unterschriften, den Adressen und Kontaktdaten der Foris-Büros in Berlin und Bonn. Die Innenseite ist noch weiß. Sie soll mit der Presseerklärung bedruckt werden, die wir vorbereitet haben, die aber je nach Eröffnungskurs eine unterschiedliche Titelzeile erhalten soll. Wenn ich mich recht er- innere, habe ich den Text allein formuliert. Er strotzt vor Unbeschei- denheit. Ja, wenn ich ihn heute lese, erinnert er mich an den atemlosen Duktus der Ansager in Fox’ tönenden Wochenschauen aus den Kino- vorstellungen meiner Kindheit. „Mit Recht geht das weltweit erste Unterneh- men an den Neuen Markt, das Prozesse gegen Erfolgsbeteiligung finanziert und damit eine Lücke im Rechtsschutz schließt“, so heißt es da, und weiter: „Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist. So formulierte es einst Bundesaußenminister Genscher. Die Idee der Prozessfinanzierung hatte Firmen- gründer Lothar Müller-Güldemeister schon 1977… Der entscheidende Durch- bruch kam, als Müller-Güldemeister Ende 1997 Dr. Christian Rollmann kennen lernte… Im Juni 1998 stellten die beiden ihr Konzept vor und rannten bei der sonst so konservativen Anwaltschaft offene Türen ein… Die Nachfrage nach Prozessfinanzierungen übertraf alle Erwartungen. Täglich tragen Anwälte neue Fälle zur Finanzierung vor. Oft geht es um Millionenforderungen gegen Großun- ternehmen, staatliche Institutionen oder sonstige finanzstarke Gegner, die den ande- ren kaltschnäuzig auf den Prozessweg verweisen – wohl wissend, dass der ihn sich nicht leisten kann. Oft sind es regelrechte Wirtschaftskrimis, die den Forderungen zugrunde liegen. Mit Foris bekommt der, der sein Recht sucht, einen starken Mit- streiter. Foris ist finanziell unabhängig und frei, es mit jedem aufzunehmen, einen wie großen Namen er auch im Schilde führen mag. Zu verdanken hat Foris das den Anlegern, die die Idee der Foris und ihre geschäftlichen Perspektiven begriffen haben… Mit jetzt rund 40 Millionen DM an Eigenmitteln und Liquidität kann Foris bis 2005 mit über 1.700 Prozessen einen Beitrag zum Recht leisten“. Große Worte, aber sie geben wohl meine Stimmung in jenen Tagen richtig wieder: das Überrumpeltsein von einer Lawine, die ich selbst losgetre- ten hatte, und den Erwartungen, die wir sowohl wecken wie auch er- füllen wollen…


Über diesem Text steht noch die Kopfzeile: „Foris-Erstnotiz am 19.7.1999 mit … EURO … % über Emissionskurs“, wobei wir in jeder Version andere EURO- und entsprechende Prozentzahlen von 55 bis 90 EURO eingesetzt haben. Sobald der Eröffnungskurs bekannt ist, soll einer unserer Mitarbeiter mit der passenden Vorlage zu einem nahen Copyshop gehen und die Blankoseite bedrucken lassen.


Es wird Abend. Wir sitzen auf der Terrasse des “Hard Rock Café“ an einer Straßenecke im Rücken der Börse bei einem Weizen- bier, als eine Horde junger Männer um die Ecke kommt. Ein großes Geschrei beginnt, als sie uns sehen, und sie stürmen den Biergarten. Es ist die Clique der Wallstreet-boarder, die uns und die Foris in den letz- ten Monaten bejubelt und bei der Hauptversammlung die Köpfe zu- sammengesteckt haben. Sie kündigen an, morgen unser Zelt vor der Börse zu stürmen. Das hatten wir eigentlich für die Foris-Mitarbeiter und den engeren Kreis der an der Emission beteiligten Personen, für Presse und Fachpublikum bestimmt. Aber rausschmeißen werden wir unsere Fans natürlich nicht. Wir unterhalten uns noch ein bisschen mit ihnen und überlassen ihnen dann das Feld. Morgen ist auch noch ein Tag.


Gegen 8 treffen wir uns vor der Börse. Einige unserer Mitar- beiter sind schon an der Arbeit. Sie haben die riesigen Luftballons mit Helium aufgeblasen und an dem gusseisernen Zaun vor dem Börsen- gebäude befestigt. Die Ballons wiegen sich in dem Aufwind, den die schon um diese Morgenstunde wüstenheiße Luft vom Pflaster hoch- steigen lässt. Wir helfen noch ein bisschen, dann inspizieren wir das Zelt und die Inneneinrichtung, Alles ist ohne Fehl und Tadel. Lupo und Rollmanns ältester Sohn, zwei Jahre jünger, setzen sich aufs Podium und spielen Vorstand. Dann trinken wir Kaffee. Sekretärinnen, Händler und Manager strömen in das große, rötliche Gebäude. Was für uns einer der Höhepunkte unseres Lebens ist – für sie ist es tägli- che Routine.


Doch unsere Spannung steigt: Wird der Börsenstart gelingen? Werden die Nachrichten in den Zeitungen, bei N-TV und Bloomberg von einem Flop oder einem fulminanten Start sprechen? Werden die Anleger und damit Tausende von Anwälten, die wir als Kunden und Mittler zum Kunden einbinden wollen, euphorisch oder enttäuscht sein? All das wird sich in den ersten Minuten entscheiden, wenn die Makler den Anfangskurs festlegen. Das werden wir hautnah miterle- ben, denn an diesem Tag dürfen wir selbst aufs „Parkett“, das sonst den Börsenmaklern und den zugelassenen Händlern vorbehalten ist.
Um kurz vor 9 ist es soweit.


Wir werden von einem Mitarbeiter der Börse über einen ver- schlungenen Umweg in den fußballplatzgroßen Raum mit den rund- herum gezogenen Galerien geführt. Auf den riesigen Anzeigetafeln an den Wänden schmiegen sich die Linien zu dieser Tageszeit noch eng an die y-Achse. In der Halle, dicht an dicht, die Edelholzverschläge der Börsenjobber, vollgestopft mit Computern, Tickern und Telefonen.
Als ich bei Weiss und Co. anfing, vor ziemlich genau 22 Jah- ren, hat mich der Prokurist auch ein paar Mal in die Hamburger Börse mitgenommen. Dort herrschte noch eine Lärmkulisse wie in einer von Schulklassen bevölkerten Schwimmhalle. Mit scheinbar unartikulierten, für den Uneingeweihten unverständlichen Lauten verständigten sich die Händler und Makler über die Papiere, die Preise und die Mengen. Schiefertafeln wurden hektisch mit Kreide beschrieben und wieder abgewischt, zerrissene Papiere lagen auf dem Boden wie auf der Trab- rennbahn, und die Börsianer trugen kleine Notizbücher bei sich, in denen sie ihre An- und Verkäufe mit Bleistift notierten, um sie dann per Telefon und Fernschreiber von ihren Kabinen aus an ihre Zentralen weiterzugeben. Von all dieser Hektik ist nichts mehr zu spüren, jedenfalls an diesem Morgen nicht. Liegt es an der sommerlichen Hitze oder der beginnenden Sommerpause, liegt es daran, dass die Computer das Geschäft der Schreier übernommen haben? Jedenfalls erinnert mich die Atmosphäre, trotz aller gespannten Erwartung, die auch hier in den Gängen lauert, eher an die Buchausgabe einer Bibliothek oder die Auslagen im Erdgeschoss eines vornehmen Kaufhauses, das gerade seine Pforten öffnet. Die Stimmen sind gedämpft, die Stimmung ist ruhig, sachlich und aufgeräumt. Der Leiter der Handelsabteilung der Börse begrüßt unsere kleine Delegation, die aus Rollmann und mir, unseren Frauen und Kindern, Cobet, den Trinkäuslern und noch ein paar anderen besteht. Er übergibt uns, wie üblich bei den Börsenneu- lingen, eine verkleinerte Replik des Bulle-und-Bär-Ensembles vor der Börse mit einigen wenigen Worten der Begrüßung und der guten Wünsche für die Zukunft. Rollmann händigt die Plastik mir aus und meint, ich solle sie behalten. Wir haben schon in den letzten Wochen gesagt, eigentlich macht es keinen Sinn, die ganze Prozedur des Bör- senganges über sich ergehen zu lassen, wenn man das dabei gewonne- ne Know-how nicht auch in der Zukunft nutzen würde. Wir glauben doch tatsächlich, dass dies nicht unser letzter Börsengang ist, und das nächste Ensemble wird er dann nehmen…


Nach der kleinen Zeremonie in einem etwas abgelegenen Gang der Börsenhalle gehen wir zu einem der Makler, der für die Fest- stellung der ersten Kurse zuständig ist. Die Spannung ist mit Händen zu greifen. Er kramt ein bisschen an seinem Computer rum. Dann brummelt er irgendetwas wie „so um achtzig“.


Erleichterung, ja Begeisterung macht sich breit. Auf der elekt- ronischen Tafel an der Nordseite der Halle erscheint die Aufschrift: „Foris AG – Erstnotiz am 19.07.1999“ und der Kursverlauf mit seinen ersten Zacken, mit eindeutig nach oben strebender Tendenz.
Wir gehen herum, werden den Börsenhändlern vorgestellt und schütteln Hände. Da wir von der Hauptversammlung noch hunderte von Springseilen mit Foris-Aufschrift übrig haben, verteilen wir sie an alle Börsianer, deren wir habhaft werden können. Am Nachmittag, als sich die Börse wieder leert, sehe ich auf dem Börsenplatz und sogar später in der U-Bahn Männer und Frauen in Nadelstreifenanzügen und –kostümen mit unseren Springseilen in der Hand. Es erinnert mich an einen alten Werbespot im US-Fernsehen, in dem die Straßen voll sind von Leuten, die überdimensionale Packungen mit Wrigleys Spearmint Gum auf ihren Schultern herumtragen…


Nach einer Dreiviertelstunde verlassen wir erst einmal die hei- ligen Hallen. Ein letzter Blick gilt der Anzeigetafel, auf der sich der Foris-Kurs inzwischen weiter erhöht hat. Ich schicke einen der Mitar- beiter zum Copyshop, und er lässt die vorbereiteten Flugblätter kom- plettieren mit der Titelzeile: „Foris-Erstnotiz am 19.7.1999 mit 80 EURO 78 % über Emissionskurs“.


Ein Gefühl tiefer Befriedigung hat mich ergriffen. Nicht, dass ich mir von Minute zu Minute neu ausrechne, wie viele Millionen mein Depot auf dem Papier wert ist. Es ist der Erfolg, der mich glücklich macht, nicht das Geld. Dass das Geld wiederum die Messlatte für den Erfolg ist, macht die Sache zwar kompliziert, aber zum Philosophieren ist jetzt keine Zeit. Wir gehen zu unserem Zelt, das direkt vor dem Börseneingang steht. Dort haben sich inzwischen auch die meisten Foris-Fans eingefunden, Freunde und Bekannte und die ersten Vertre- ter der Presse. Die Pressekonferenz ist auf 10 Uhr angesetzt, und für 12 Uhr ein Empfang. Die Pressekonferenz ist nicht sehr besucht. Die Börsenstarts der letzten Wochen und die vielen, die noch folgen wer- den, hinterlassen ihre Spuren. Auch sind wir eher wegen unserer Ge- schäftsidee als wegen unseres Emissionsvolumens interessant. Aber unser Geschäftsmodell haben wir in den letzten Monaten so intensiv durch die Medien gezogen, dass es keinen wirklichen Neuigkeitswert mehr hat. Ich erinnere mich nicht mehr an die Fragen, die von den Bänken aus an uns gestellt werden.


Die Pressekonferenz ist nach zwanzig Minuten zu Ende. Der
Kurs steht bei über 90. Und er steigt weiter. Einer der wallstreet-boys hat zu den Anfangskursen nachgekauft und jetzt verkauft. Er ist um einige zehntausend Mark reicher und gibt mächtig damit an. Aber auch an der Börse gilt die alte Zockerweisheit, die auf den Trab- und Ga- lopprennbahnen gehandelt wird: Das gewonnene Geld ist nur geliehen. Beim nächsten Rennen zahlst du es zurück…
Den Empfang eröffnet einer der Vorstände von Trinkaus & Burkhardt. Seine Ansprache hätten wir wohl nur verhindern können, wenn wir ihn fortgetragen hätten. Es wäre mir lieber gewesen, einer der beiden Betreuer, mit denen wir in den letzten Monaten so intensiv zu tun hatten, hätte ein persönliches Wort über die angenehme und fruchtbare Zusammenarbeit gesagt. Dass sich die selbsternannten Promis auch immer vordrängeln müssen, wenn es ums Redenhalten geht, wo sie schon nicht die Arbeit gemacht, schlimmer, wenn sie nicht einmal etwas zu sagen haben! Am Schluss überreicht er Rollmann und mir je eine alte Goldmünze. Etwas gequält nehme ich sie entgegen und schaue darauf. Sie zeigt nicht etwa den Kopf von Ludwig Erhard, von Rathenau, Siemens oder Donnersmarck, was ja noch eine Beziehung zu dem heutigen Geschehen gehabt hätte. Nein, es ist eine 20- Reichsmark-Münze mit dem Portrait des letzten deutschen Kaisers, einer politischen Figur, der ich nun gar nichts abgewinnen kann. Noch gequälter bedanke ich mich. Die Münze landet später in irgendeiner Schreibtischschublade von mir und ist verschollen.


Die nächste Rede ist besser. Sie ist von Rollmann, sie es ist ei- ne Laudatio auf mich, auf meine Idee, auf meine Kreativität, auf unser beider Zusammenarbeit trotz unserer unterschiedlichen Charaktere. Es ist eine sympathische Rede, und ich leugne nicht, dass sie mir gut tut. Sie kommt auch bei den Zuhörern an und findet weitaus freundliche- ren Beifall als die des Bankiers. Schließlich sage ich noch etwas. Der Erfolg habe viele Väter, und wenn ich auch einer davon bin, so müsste ich doch ein paar weite- re Personen nennen, die allerdings alle nicht anwesend sind. Ich begin- ne mit meinem Vater. Weil er mir, als ich sechzehn Jahre alt wurde, ein Exemplar des Bürgerlichen Gesetzbuches schenkte, das bald vom Lesen zerfleddert war. Weil er mich logisches Denken gelehrt, aber meine Kreativität nicht behindert hat. Weil er sowohl meine Entschei- dung akzeptierte, zunächst mit Geschichte, Mathematik, Philosophie und noch einigem anderen ein etwas chaotisches Studium anzufangen, als auch die spätere, im Wintersemester 1969/70 auf Jura umzusatteln. Zu dieser bedurfte es des Hinzutretens eines anderen: meines Freun- des Reinhard Rauball, des Tausendsassas, den ich in Bochum in einer Wohngemeinschaft kennen lernte, nachmalig Prominentenanwalt, bekannter Sportrechtler, zeitweiliger Präsident von Borussia Dortmund und – wenn auch nur für ein paar Tage – Justizminister von Nord- rhein-Westfalen. Ich erwähne Herrn Friedrich, den furchtlosen Inha- ber von Weiss & Co., der meinen Vorschlag, den Prozess gegen Wes- tenfeld zu finanzieren, auch noch unterstützte, als ich kleinlaut mit der Nachricht gekommen war, dass wir die erste Instanz verloren hatten. Und ich erwähne last but not least meine Frau und meine Kinder, die meine beruflichen Eskapaden der letzten Jahre bis hin zu dem Sprung ins kalte Wasser der Foris mitgetragen haben, wenn auch nicht immer klaglos, und mit denen ich jetzt in den wohlverdienten Urlaub fliegen werde.
Nach diesen Reden ist das Buffet eröffnet, und ebenso der Champagner, der, zusammen mit der Hitze, meine Erinnerungen an den Fortgang dieses Tages benebelt. Ich, aber noch mehr die Foris- Mitarbeiter, laufen ständig zwischen dem Zelt und dem Börsengebäude hin und her, um den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der Foris- Aktie bis über hundert zu beobachten.


Nicht nur bei mir macht sich die Erschöpfung breit. Irgendwann ist die Party zu Ende. Gegen 19 Uhr verabschiede ich mich von Rollmann, den Gästen und den Mitarbeitern und gehe ins Hotel, um zu duschen. Auf dem Platz vor der Börse beginnen die Aufbauarbeiten für die Feier des nächsten Börsenganges der Haitec, am nächsten Tag.


Um 20 Uhr gucke ich im Hotel Tagesschau, aber der Beitrag über Foris kommt nicht. Sabine, Katharina, Lupo und ich bummeln noch ein wenig unschlüssig durch die in der Hitze fiebernde Stadt. Danach fallen sie ins Bett, nur ich kann weder schlafen noch sonst etwas Vernünftiges mit mir anfangen. So zappe ich, der ich zu Hause nie fernsehe, mich durch die Sender und werde dann doch noch Zeuge des Beitrages über Foris in den Zwei-Uhr-Nachrichten der ARD. Er reißt mich nicht vom Hocker, und die wenigen Schlaflosen, die ihn sehen, wahrscheinlich auch nicht. Irgendwann fallen mir die Augen zu.



Prozessfinanzierung

(02.07.2019) Am 29. Juni durfte ich bei einem Anwaltstreffen bei der Roland Prozessfinanz AG in Köln eine Ansprache halten. Vielen Dank für die Veranstaltung und die Einladung zu dem anschließenden fulminanten Udo-Lindenberg-Konzert in der Lanxess-Arena.

Liebe Damen und Herren Kollegen!

Lieber Arndt Eversberg!

Du hast mich eben als den „Erfinder der Prozessfinanzierung“ angekündigt. Das ehrt mich. Doch ich muss hier etwas vervollständigen. Die Prozessfinanzierung gab es schon einige Zeit vor mir. In England, im 13. Jahrhundert, unter dem Namen „Champerty“. Allerdings hat man sie bald wieder bei Strafe verboten. Angeblich, weil sie zu Betrügereien benutzt worden war. So steht es jedenfalls in Wikipedia. Ich habe allerdings eine andere Theorie. Nämlich die, dass ein paar Reiche und Mächtige not amused waren, von weniger Reichen und Mächtigen vor den Kadi gezerrt werden zu können. Solche Reichen und Mächtigen gibt es auch heute noch, ich komme später auf sie zurück.

Das Verbot wurde um das Jahr 1300 herum erlassen. Danach wurde es für 677 Jahre still um die Prozessfinanzierung. Bis zu einem Septembertag im Jahr 1977. Da kam unangemeldet ein Mann mit Tirolerhut in die Rechtsabteilung einer kleinen Privatbank am Neuen Wall in Hamburg. In der Rechtsabteílung saß ich seit ein paar Tagen als frisch examinierter Volljurist. Also die Bank war wirklich ziemlich klein. Genau gesagt, war ich die Rechtsabteilung. Mein Chef, der alleinige Komplementär der Bank, war nicht da. Darum hatte man den Tirolerhut zu mir geschickt.

Ich fragte nach seinem Begehr. Er wollte einen Kredit von 200.000 Mark. Glücklicherweise hatte ich tags zuvor die drei Fragen gelernt, die ein Banker in einem solchen Fall stellt: Wofür brauchen Sie den Kredit? Woraus wollen Sie ihn zurückzahlen? Welche Sicherheiten haben Sie? Nun, er brauchte ihn, um einen Prozess zu führen. Aus dem Prozesserlös wollte er ihn zurückzahlen. Und die todsichere Sicherheit war die Forderung, die er einklagen wollte. Er war übrigens unmittelbar vorher schon bei der Deutschen Bank und der Hamburger Sparkasse gewesen. Aber die hatten ihm ziemlich schnell das Tschüss angeboten.

Das Einstellungsgespräch mit meinem Chef lag erst wenige Wochen zurück. Bei diesem Gespräch hatte er mir seinen Leitspruch genannt und mir gleich empfohlen, den auch zu meinem zu machen, wenn ich den Job haben wollte. Es war auch der Leitspruch von Joseph Kennedy, nämlich „When the going gets tough, the tough get going“. Wir können als kleine Bank nur überleben, sagte er, wenn wir die Geschäfte machen, die die anderen nicht machen. Ein Geschäft, das andere abgelehnt haben, muss kein schlechtes Geschäft sein. Meistens haben die anderen nur nicht genau genug hingekuckt. Sie kneifen, wenn es kompliziert wird, oder weil es nicht in eine ihrer Schubladen passt. Aber für uns gilt: When the going gets tough, the tough get going.

Der Mann mit dem Tirolerhut war ein schräger Vogel. Aber eingedenk des markigen Spruches meines Chefs habe ich ihm zugehört. In dem geplanten Prozess ging um Schadensersatz wegen Asset Stripping. Das Asset Stripping war in den 70er Jahren schwer in Mode. Die Opfer waren immer alteingesessene Textil- oder Schuhfirmen, die unrentabel und an der Börse niedrig bewertet waren. Sie hatten aber oft stille Reserven in Form von großen Betriebsgrundstücken in wertvollen Innenstadtlagen. Wenn man den Betrieb einstellte, konnte man die Grundstücke teuer versilbern.

Dazu musste der Stripper sich Einfluss auf die Gesellschaft sichern. Und dann den Erlös aus dem Immobilienverkauf möglichst trickreich an den anderen Aktionären, am Finanzamt und dem Pensionssicherungsverein vorbeischleusen. Das hatte ein cleverer Stripper hier mit Hilfe einer Schweizer Bank gemacht und die Aktiengesellschaft um einen zweistelligen Millionenbetrag erleichtert. Dann hatte er seine Aktien und den Vorstandsposten der ausgehöhlten Gesellschaft dem Tirolerhut gegeben, und der sollte die Firma möglichst still und leise beerdigen. Das hatte der aber nicht gemacht, sondern war zu mir gekommen.

Am nächsten Tag habe ich den Fall meinem Chef vorgetragen. Es entwickelte sich in etwa folgender Dialog: Er: „Was schlagen Sie vor?“ Ich: „Finanzieren, gegen 30 % Erfolgsbeteiligung.“ Er: „Gewinnen wir den Prozess?“ Ich: „Wenn wir den verlieren, höre ich hier auf und werde Kneipier.“ Er: „Dann setzen Sie sich hin und entwerfen Sie einen Vertrag. Aber bitte mit 50 % Erfolgsbeteiligung.“

Das Landgericht Hannover wies unsere Millionenklage ab. Wegen Verjährung. Ich war einigermaßen kleinlaut, als ich das meinem Chef berichten musste. Aber der sagte nur: „when the going gets tough, the tough get going.“ So we got going, nämlich vor das Oberlandesgericht Celle. Das sah das mit der Verjährung anders.

Woraufhin die Gegner sich ziemlich schnell mit uns verglichen.

Trotz des schönen Gewinns gab es die Bank danach nicht mehr lange. Und da ich jung war und das Geld brauchte, bin ich dann doch noch irgendwann Anwalt geworden. Obwohl ich den Anwaltsberuf eigentlich schon während der Referendarzeit abgehakt hatte. Wie vorher auch schon Richter, Staatsanwalt oder Verwaltungsjuristen nach den jeweiligen Referendarstationen.

Als Anwalt, nach der Wende in den neuen Bundesländern, stieß ich immer wieder auf die alte Situation: ein Prozess wäre aussichtsreich gewesen. Aber der Mandant hatte das Geld nicht, um ihn zu führen. Oder er hätte Haus und Hof aufs Spiel setzen müssen. Das konnte ich keinem guten Gewissens raten.

Irgendwann habe mich hingesetzt und auf drei oder vier DIN-A-4-Seiten ein Konzept für ein Prozessfinanzierungs-unternehmen gemacht. Ich habe es ein paar Kollegen und Bekannten gezeigt. Die einen sagten: „das kann doch unmöglich erlaubt sein“. Andere: „Das funktioniert nie“. Ein paar aber: „Das ist ja reines Dynamit.“ Mit denen habe ich dann die Foris gegründet, übrigens hier bei einem Notar in Köln. Den Namen Foris hatte ich mir noch schnell am Abend vor dem Notartermin ausgedacht, unter Zuhilfenahme größerer Rotweinmengen.

Die Zeit war günstig. Kurz zuvor hatten Gründungsfieber und Aktienhype begonnen. Die Banken rissen sich um Start-Ups, um sie an den Neuen Markt zu bringen. Vor ziemlich genau 20 Jahren, am 19. Juli 1999 war es dann soweit: Wir bauten ein großes Zelt neben Bulle und Bär vor der Frankfurter Börse auf. Es gab Bier und Champagner. Aber nicht nur das vernebelte die Sinne, sondern auch die Erstnotiz des Kurses an diesem Tag. Die stieg in der Spitze auf das Zweieinhalbfache des ohnehin schon hohen Ausgabepreises für die Aktie

Ich muss es zugeben, wir waren euphorisiert. Wir kauften eine große Büroimmobilie, wir gründeten Tochtergesellschaften, wir eröffneten Büros in Frankfurt, München und New York. Doch dann kamen die Mühen der Ebene. Wir mussten lernen: Prozessfinanzierung ist ein verdammt toughes Geschäft. Viel Geld zu haben war zwar die Mindestvoraussetzung, aber lange nicht ausreichend. Es brauchte spezielles Know-How, eine spezielle Organisation, spezielle Erfahrung und Fingerspitzengefühl, und auch das mussten wir lernen. Wir und unsere sämtlich ganz jungen Mitarbeiter.

Wir mussten lernen, dass von hundert Fällen die an uns herangetragen wurden, drei gute waren. Wir mussten lernen, dass die Qualität des Anwalts die entscheidende Einflussgröße für den Prozesserfolg war. Und wir mussten lernen, dass auch gute Fälle verloren gehen konnten, wenn sie schlecht vertreten wurden.

Die Kunst, wie im richtigen Leben, bestand darin, die Spreu vom Weizen zu trennen. Ungeeignete Fälle mussten wir mit möglichst geringem Zeitaufwand aussieben. Aber auch nicht so, dass uns dabei geeignete Fälle durch die Lappen gingen. Nicht bei allen Anfragen fiel uns die Entscheidung so leicht wie bei der, ob wir die Klage eines Maharadschas gegen das United Kingdom auf Herausgabe der Hälfte von Indien finanzieren würden.

Unsere ehemals begeisterten Anleger lechzten ständig nach neuen sensationellen Meldungen. Aber Prozessfinanzierung ist ein langwieriges und erratisches Geschäft. Die Anleger verloren die Freude an uns. Der Börsenkurs ging auf eine kontinuierliche Talfahrt, in der schlimmsten Zeit sackte er auf weniger als ein Hundertstel seines Ausgabekurses.

Dann kriegten wir auch noch Konkurrenz. Unseriöse, wie auch seriöse. Zu den seriösen darf man glaube ich die Roland Prozessfinanz AG zählen. Dafür bürgen schon allein die illustren Anwälte, die hier eingeladen sind.

Und dafür bürgt Arndt Eversberg. Den habe ich 1999 in München kennengelernt, bei einer der Informationsveranstaltungen, in denen wir unser Geschäftsmodell vorstellten. Mein damaliger mit Vorstand und ich haben ihn vom Fleck weg engagiert. Er wurde leitender Mitarbeiter bei uns und baute zielstrebig und erfolgreich das Münchner Büro auf. Dort wurde er uns dann von der Allianz weggeschnappt, die auch ins Prozessfinanzierungsgeschäft einsteigen wollte.

Mit der Allianz trug Arndt Eversberg übrigens das Geschäft wieder dorthin, wo es 700 Jahre vorher verboten worden war. Inzwischen war das Verbot gefallen, das Geschäftsmodell fand bald zahlreiche Nachahmer und heute dürfte London die Welthauptstadt der Prozessfinanzierung bzw. der Champerty sein. Ein Kreis hatte sich geschlossen

Nach meiner Vorstandszeit bei Foris wurde ich wieder Anwalt.

Anwalt zu sein macht eindeutig mehr Spaß, seit es Prozessfinanzierung gibt.

Man hat einen Mandanten mit einem Anspruch. Und einen Gegner, der den Anspruch bestreitet. Es gibt Gegner, die bestreiten, weil sie sich selbst eingeredet haben, sie wären im Recht. Die meisten Gegner aber wissen, dass sie Unrecht haben. Und bestreiten trotzdem. Sie sitzen auf dem Geld, das unserem Mandanten zusteht. Und sie bestreiten, weil sie hoffen, dass sie gerade deswegen damit durchkommen. Sie hoffen, dass sie unseren Mandanten am langen Arm verhungern lassen können. Ganze Unternehmensstrategien sind darauf aufgebaut, grundsätzlich erst mal nicht zu zahlen und abzuwarten, ob Anspruchsinhaber klagen. Von denen geben viele gleich auf, andere lassen sich auf faule Vergleiche ein. Und die Prozesskosten, die die Unternehmen denen erstatten müssen, die doch klagen und gewinnen? Die sind durch die Einsparungen bei den anderen längst überkompensiert.

Gibt es aber einen Prozessfinanzierer, dann hat diese Arroganz der Macht und des Geldes plötzlich einen ebenbürtigen Gegner. Darüber war die Arroganz der Macht und des Geldes noch nie erfreut. Im Mittelalter nicht. Und heute auch nicht. Prozessfinanzierung ist ihr ein Ärgernis.

Die Musterfeststellungsklage war vom Justizministerium als Wunderwaffe angekündigt. Aber die Unternehmerlobby hat es mühelos geschafft, den vermeintlichen Tiger als Bettvorleger landen zu lassen. Die deutsche Industrie wendet sich gegen jeden Gesetzesvorschlag zur Verbesserung von Verbraucherrechten. Ein Kölner Professor schreibt in der NJW, die Inkassozession von Verbraucherforderungen zum Zweck der gerichtlichen Geltendmachung verstoße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz. Selbst dann, wenn sie an zugelassene Inkassounternehmen erfolgt. Der Aufsatz fußt auf einem von verklagten Unternehmen bezahlten Gutachten. Der Bund der deutschen Unternehmensjuristen polemisiert gegen eine so genannte Klageindustrie und die angeblich exorbitanten 35%igen Erfolgshonorare der Prozessfinanzierer. Dabei können die nach Adam Riese eigentlich nur dann exorbitant sein, wenn vorher die Betrügereien der Unternehmen dreimal so exorbitant waren!

Spätestens nach dem VW-Skandal war die Politik aufgerufen, die Waffen der Bürger gegen solche Betrügereien zu schärfen. Das einzige, was sie zustande gebracht hat, ist die sinnlose und zahnlose Musterfeststellungsklage. Ansonsten: alles wie gehabt. Miserabel ausgestattete Gerichte und fehlende Spezialisierung führen zu überlangen Verfahren. Die unsägliche Zivilprozessreform der SPD-Ministerin Däubler-Gmelin mit ihrer Amputation von Rechtsmitteln hat nichts bewirkt als eine dauerhafte Qualitätsverschlechterung der Urteile der Instanzgerichte. Die Prozesskostenregelungen der ZPO perpetuieren ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Privatleuten und Unternehmen; von Waffengleichheit im Prozess kann keine Rede sein.

Und es ist doch einfach grotesk, dass die Kosten für die Rechtsfortbildung oder die Schließung von Lücken miserabler Gesetze durch den Bundesgerichtshof von der unterlegenen Partei getragen werden müssen – obwohl der Bundesgerichtshof nach seinem eigenen Verständnis gar nicht mehr im Interesse der Partei tätig wird, sondern nur im Interesse der Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen. Das ist etwas, was mich wütend macht.

Damals, als es mit Foris losging, wurde ich oft gefragt: Ist das nicht amerikanische System? Nein, musste ich sagen, in den unternehmerfreundlichen USA werden die Rechte der Verbraucher, der Privatleute und der kleinen Unternehmen vor Gericht sehr viel höher gehalten als bei uns.

Dort gilt es als Interesse der Allgemeinheit, dass Gerichte Streitigkeiten entscheiden. Darum gibt es dort nicht die horrenden und prohibitiven Gerichtskosten wie bei uns.

Dort stellen die Gesetze die Anwälte nicht prophylaktisch unter den Generalverdacht, sie würden zu unlauteren Mitteln greifen, wenn sie erfolgshonoriert arbeiten.

Dort dürfen Prozessparteien entscheidungsrelevante Tatsachen nicht zurückhalten, sondern müssen sie dem Gericht und dem Gegner offenbaren.

Dort gibt es auch nicht unsere starre, schematische und häufig ungerechte „loser pays all“ Regelung.

Keinesfalls will ich behaupten, in den USA wäre alles besser als bei uns. Aber dies ist es schon. Und wenn das alles auch hier so wäre, so hätte ich die Prozessfinanzierung nicht nach 677 Jahren neu erfinden müssen. Und die von VW Betrogenen wären auch bei uns schon entschädigt. Aber wir leben nun mal nicht in einem idealen Deutschland. In einer idealen Welt brauchte es vermutlich nicht einmal Anwälte. Aber die Welt ist tough und darum braucht es uns Anwälte und darum braucht es auch eine Roland Prozessfinanz AG. Vielen Dank, Arndt, dass wir gemeinsam daran arbeiten können, dem Recht ein wenig mehr Geltung zu verschaffen. Und dass wir das hier gemeinsam feiern können. Und nach der Feier heißt es dann wieder: The tough get going.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

Wer es etwas genauer wissen will, kann es hier lesen…

Designierte Justizministerin disqualifiziert sich schon vor ihrem Amtsantritt

(19.06.2019) Der „unfassbare Mord“ am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) zeige, dass die Verteidigung des Rechtsstaates aktueller denn je sei, sagte sie. Die Antwort des Rechtsstaates müsse ganz klar sein: „Wir akzeptieren keine Rechtsextremisten in unserer Mitte“.

Das sagt die designierte Justizministerin Frau Christine Lambrecht.

Doch auch wenn der Typ, den sie da verhaftet haben, ein mieser Neonazi und Krimineller sein mag: er ist bisher nicht in einem ordentlichen Verfahren wegen des Tötungsdeliktes rechtskräftig verurteilt. Er ist noch nicht einmal angeklagt. Und daher gilt die Unschuldsvermutung auch für ihn. Das sollte einer kommenden Justizministerin eigentlich bekannt sein. Und dann sagt Frau Lambrecht nicht etwa: Der Mord muss schnell aufgeklärt werden? Die Justiz muss effizienter, schneller, weniger fehleranfällig, gerechter werden? Wir dulden keine Straftäter? Keine Extremisten von links und rechts? Keine kriminellen Islamisten? Keine Wirtschaftsverbrecher? Nein, nur „Rechtsextremisten“. Und was meint sie damit? Ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Straftaten nicht akzeptiert, sondern verfolgt werden, egal von wem sie begangen werden? Oder meint sie, dass Rechtsextremisten auch dann verfolgt werden sollen, wenn sie keine Straftaten begehen, Links- oder andere Extremisten aber nicht? Das wäre wohl ein klarer Rechtsbruch.

„Der Rechtsstaat“ wird nicht durch einen einzelnen Verbrecher angegriffen. Mit dem wird er spielend fertig. Sondern durch eine Politik, die ihn – wenn sie ihn schon nicht gleich demontiert wie in Polen oder Ungarn – vernachlässigt und verwahrlosen lässt wie eine Mutter ihr ungeliebtes Kind. Die die Polizei, die Gerichte und die Staatsanwaltschaften unzureichend ausstattet. Die ständig neue schlampige Gesetze verabschiedet, aber ihre Einhaltung nicht durchsetzt. Die veraltete Gesetze nicht novelliert. Und die seit Jahren die Justizministerien mit drittklassigen Quoten- und Proporzpolitiker(inne)n besetzt.


„Justizpalast“ von Petra Mosbach

(17.04.2019) Justizpaläste gibt es in Deutschland viele. Die eindrucksvollsten wurden noch in der Kaiserzeit erbaut, sie strahlen immer noch den Geist Wilhelms II. aus, ihr Versuch, den Bürger einzuschüchtern und ihm die Macht der Obrigkeit zu verdeutlichen, bleibt unübersehbar.

Die gesamte Justiz hat auch heute noch etwas palastartiges. Ihre Vertreter kommen oft unverständlich, unnahbar, skurril oder geradezu grotesk daher, manchmal erscheinen ihre Urteile unverständlich milde, manchmal unverständlich streng, aber oft auch einfach nur unverständlich. Selbst in Deutschland, das sich einer im Weltvergleich sicher vorzeigbaren, wenn auch immer noch weit vom Wünschbaren oder gar Perfekten entfernten Justiz erfreuen kann, verschanzen sich Gesetz und Rechte gern hinter der beschriebenen Architektur, verschachtelten Nebensätzen, schwarzen Roben und kafkaesken Gerichtskanzleien. Sie hat ein Kommunikationsproblem, wie man nicht zuletzt an dem vielgepriesenen und mit Preisen bedachten Roman „Justizpalast“ von Petra Morsbach erkennen kann. Diesen Roman muss ich als gründlich misslungen bezeichnen.

Dem Klappentext ist zu entnehmen, dass die Autorin für die Arbeit an „Justizpalast“ neun Jahre lang recherchiert hat. In dieser Zeit hätte sie eine komplette Juristenausbildung einschließlich vier Jahren Studium, erstem Staatsexamen, Referendariat und zweitem Staatsexamen absolvieren und dann noch zwei Jahre lang als Anwältin oder Richterin Erfahrungen sammeln können. Hätte sie das getan und dann den Roman geschrieben, so wäre vielleicht nicht so eine Melange aus Halbwissen, Halbverstandenem, hanebüchenen Vorurteilen gegen die Justiz und horrendem Unsinn heraus gekommen.

Nun wäre es angesichts des genannten Kommunikationsproblems der Justiz verständlich, wenn ein Roman die Perspektive eines von dieser Justiz verunsicherten Bürgers einnimmt und dessen fehlendes Verständnis für ihre Mechanismen widerspiegeln und es sogar teilen würde. Einem Roman aber, der die Justiz aus der Perspektive eines Richters schildert, und der ernst genommen werden möchte, sind solche Fehler nicht erlaubt, sollen sie ihn nicht vollständig entwerten, ähnlich wie es bei einem Roman über ein Ensemblemitglied der Berliner Philharmoniker wäre, das die „Kunst der Fuge“ nicht von Hänschen klein und eine Tempobezeichnung nicht von einem Notenschlüssel unterscheiden könnte.

Dies ist bei dem vorliegenden Roman aber leider der Fall. Fast auf jeder Seite, die der rechtskundige Leser aufschlägt, findet er Fehler, die von einer grundstürzenden Kenntnislosigkeit und Verständnislosigkeit unserer Autorin für Pfeiler unseres Rechtssystems zeugen wie auch für elementare Prinzipien des Zivilptozesses, dem täglichen Brot der Protagonistin des Romans. Wenn die Autorin schon einmal etwas vom „gesetzlichen Richter“ gehört und das dem zugrundeliegende Verfassungsprinzip verstanden hätte, könnte sie nicht auf die Idee kommen, dass Zivilrichter ihre Fälle nach Gusto unter einander hin- und herschieben könnten. Hätte sie etwas von dem auf der Privatautonomie fußenden Beibringungsgrundsatz im Zivilrecht verstanden, oder von der „Relationstechnik“, dem grundlegenden Algorithmus der zivilrichterlichen Entscheidungsfindung, so könnte ihre Richterin nicht nach Belieben Beweise erheben, ohne dass eine Partei dies angeboten und verlangt hätte. Auch vom Anwaltsprozess und von der Tatsache, dass der Zivilprozess weitestgehend ein schriftliches Verfahren ist, scheint sie noch nichts gehört zu haben, sonst würde sie nicht mündliche Verhandlungen schildern, in denen die Parteien ihre jeweiligen Versionen des Sachverhalts breittreten wie Quark, während ihre Anwälte stumm danebensitzen. Dass das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellrecht) etwas gänzlich anderes ist als das Recht des unlauteren Wettbewerbs (gewerblicher Rechtsschutz) scheint der Autorin ebenso hekuba zu sein wie die Tatsache, dass eine Klage einer Konzernmutter gegen ihre Konzerntöchter in einem deutschen Gerichtssaal so realistisch ist wie die eines Hundeherrchens gegen seinen Dackel.

Bei dieser geballten Ladung von Ignoranz nimmt es dann nicht mehr Wunder, dass die Autorin auch noch auf die immer noch endemische, wenn auch längst widerlegte Positivismuslegende hereingefallen ist, mit der Nazi-Juristen wie Welzel, Weinkauf, Forsthoff oder Carl Schmitt in der Nachkriegszeit erfolgreich daran gearbeitet haben, Hitlers, Himmlers und Freislers Verbrechen ausgerechnet ausgewiesenen Nazigegnern wie Hans Kelsen, Hugo Preuß und Gerhard Anschütz in die Schuhe zu schieben.

Ich habe den Roman nur deswegen bis zu Ende gelesen, weil mich interessiert hat, in welchem Maß sich offenbar die unbestreitbare Qualität der deutschen Justiz von dem Bild entfernt hat, welches die Öffentlichkeit von ihr zu haben scheint. Dieser Befund ist leider bestürzend. Bei den meisten Lesern verstärkt der Roman, wie man bereits an einigen der hier veröffentlichten Rezensionen sieht, offenbar nur populistische Vorurteile von einer abgehobenen und vielleicht sogar überflüssigen Richterschaft und Gerichtsbarkeit.

Der richtig gute Justizroman muss wohl erst noch geschrieben werden…