Herr Gauck, unterschreiben Sie dieses Gesetz nicht!

(18.10.2012) Wie zu erwarten steht, wird der Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit dem sie die Genitalverstümmelung wehrloser Jungen legalisieren will, im Schnellverfahren durch den Bundestag gepeitscht werden.

Jedes Gesetz bedarf zu seinem Inkrafttreten der Ausfertigung durch den Bundespräsidenten, Art. 82 Grundgesetz.

Dass Bundespräsidenten die Ausfertigung von Gesetzen verweigern, weil sie sie für verfassungswidrig zustandegekommen oder für materiell verfassungswidrig halten, hat Tradition.

Es würde Herrn Gauck gut anstehen, im vorliegenden Fall an diese Tradition anzuknüpfen. Denn nur so könnte eine Prüfung durch das Verfassungsgericht zustandekommen. Die geradezu teuflische Perfidie der Verfasser dieses Gesetzentwurfes ist es nämlich, dass sie eine solche Prüfung unbedingt verhindern wollen. Vorm Verfassungsgericht klagen könnte nur das Kind, dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit mit Füßen getreten wird. Aber das Kind kann sich nur durch die Eltern artikulieren, die die Genitalverstümmelung ja gerade veranlasst haben. Mit anderen Worten, der Delinquent darf selbst entscheiden, ob ihm der Prozess gemacht wird oder nicht.

Nur wenn Herr Gauck das Gesetz nicht ausfertigen und es darüber zum Organstreit zwischen Bundestag und Bundespräsident kommen würde, würde eine Entscheidung über die Verfassungsgmäßigkeit der Genitalverstümmelung kommen. Und daran, dass sie verfassungswidrig ist, habe ich keinen Zweifel. Das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 1. April 2008 – 1 BvR 1620/04 –:

Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes, macht ihnen diese Aufgabe aber zugleich auch zu einer zuvörderst ihnen obliegenden Pflicht. Dabei können die Eltern grundsätzlich frei von staatlichem Einfluss nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen (vgl. BVerfGE 107, 104 <117>). Maßgebliche Richtschnur für ihr Handeln muss aber das Wohl des Kindes sein, denn das Elternrecht ist ein Recht im Interesse des Kindes (vgl. BVerfGE 103, 89 <107>). Es ist ihnen um des Kindes willen verbürgt. Die elterliche Pflicht zur Pflege und Erziehung ihres Kindes besteht nicht allein gegenüber dem Staat, der über die Ausübung der Elternverantwortung zu wachen hat und verpflichtet ist, zum Schutze des Kindes einzuschreiten, wenn Eltern dieser Verantwortung nicht gerecht werden (vgl. BVerfGE 60, 79 <88>; 107, 104 <117>). Eltern sind auch – unmittelbar – ihrem Kind gegenüber zu dessen Pflege und Erziehung verpflichtet.

Das Kind hat eigene Würde und eigene Rechte. Als Grundrechtsträger hat es Anspruch auf den Schutz des Staates und die Gewährleistung seiner grundrechtlich verbürgten Rechte. Eine Verfassung, die die Würde des Menschen in den Mittelpunkt ihres Wertesystems stellt, kann bei der Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen grundsätzlich niemandem Rechte an der Person eines anderen einräumen, die nicht zugleich pflichtgebunden sind und die Menschenwürde des anderen respektieren. Dies gilt auch für die Beziehung zwischen einem Elternteil und seinem Kind. Das Elternrecht dem Kind gegenüber findet seine Rechtfertigung darin, dass das Kind des Schutzes und der Hilfe bedarf, damit es sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickeln kann, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht (vgl. BVerfGE 24, 119 <144>). Dieses Recht ist deshalb untrennbar mit der Pflicht der Eltern verbunden, dem Kind diesen Schutz und diese Hilfe zu seinem Wohl angedeihen zu lassen. Dabei bezieht sich diese Pflicht nicht lediglich auf das Kind, sie besteht auch gegenüber dem Kind. Denn das Kind ist nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung, es ist Rechtssubjekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten.

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