Prozessfinanzierung

(02.07.2019) Am 29. Juni durfte ich bei einem Anwaltstreffen bei der Roland Prozessfinanz AG in Köln eine Ansprache halten. Vielen Dank für die Veranstaltung und die Einladung zu dem anschließenden fulminanten Udo-Lindenberg-Konzert in der Lanxess-Arena.

Liebe Damen und Herren Kollegen!

Lieber Arndt Eversberg!

Du hast mich eben als den „Erfinder der Prozessfinanzierung“ angekündigt. Das ehrt mich. Doch ich muss hier etwas vervollständigen. Die Prozessfinanzierung gab es schon einige Zeit vor mir. In England, im 13. Jahrhundert, unter dem Namen „Champerty“. Allerdings hat man sie bald wieder bei Strafe verboten. Angeblich, weil sie zu Betrügereien benutzt worden war. So steht es jedenfalls in Wikipedia. Ich habe allerdings eine andere Theorie. Nämlich die, dass ein paar Reiche und Mächtige not amused waren, von weniger Reichen und Mächtigen vor den Kadi gezerrt werden zu können. Solche Reichen und Mächtigen gibt es auch heute noch, ich komme später auf sie zurück.

Das Verbot wurde um das Jahr 1300 herum erlassen. Danach wurde es für 677 Jahre still um die Prozessfinanzierung. Bis zu einem Septembertag im Jahr 1977. Da kam unangemeldet ein Mann mit Tirolerhut in die Rechtsabteilung einer kleinen Privatbank am Neuen Wall in Hamburg. In der Rechtsabteílung saß ich seit ein paar Tagen als frisch examinierter Volljurist. Also die Bank war wirklich ziemlich klein. Genau gesagt, war ich die Rechtsabteilung. Mein Chef, der alleinige Komplementär der Bank, war nicht da. Darum hatte man den Tirolerhut zu mir geschickt.

Ich fragte nach seinem Begehr. Er wollte einen Kredit von 200.000 Mark. Glücklicherweise hatte ich tags zuvor die drei Fragen gelernt, die ein Banker in einem solchen Fall stellt: Wofür brauchen Sie den Kredit? Woraus wollen Sie ihn zurückzahlen? Welche Sicherheiten haben Sie? Nun, er brauchte ihn, um einen Prozess zu führen. Aus dem Prozesserlös wollte er ihn zurückzahlen. Und die todsichere Sicherheit war die Forderung, die er einklagen wollte. Er war übrigens unmittelbar vorher schon bei der Deutschen Bank und der Hamburger Sparkasse gewesen. Aber die hatten ihm ziemlich schnell das Tschüss angeboten.

Das Einstellungsgespräch mit meinem Chef lag erst wenige Wochen zurück. Bei diesem Gespräch hatte er mir seinen Leitspruch genannt und mir gleich empfohlen, den auch zu meinem zu machen, wenn ich den Job haben wollte. Es war auch der Leitspruch von Joseph Kennedy, nämlich „When the going gets tough, the tough get going“. Wir können als kleine Bank nur überleben, sagte er, wenn wir die Geschäfte machen, die die anderen nicht machen. Ein Geschäft, das andere abgelehnt haben, muss kein schlechtes Geschäft sein. Meistens haben die anderen nur nicht genau genug hingekuckt. Sie kneifen, wenn es kompliziert wird, oder weil es nicht in eine ihrer Schubladen passt. Aber für uns gilt: When the going gets tough, the tough get going.

Der Mann mit dem Tirolerhut war ein schräger Vogel. Aber eingedenk des markigen Spruches meines Chefs habe ich ihm zugehört. In dem geplanten Prozess ging um Schadensersatz wegen Asset Stripping. Das Asset Stripping war in den 70er Jahren schwer in Mode. Die Opfer waren immer alteingesessene Textil- oder Schuhfirmen, die unrentabel und an der Börse niedrig bewertet waren. Sie hatten aber oft stille Reserven in Form von großen Betriebsgrundstücken in wertvollen Innenstadtlagen. Wenn man den Betrieb einstellte, konnte man die Grundstücke teuer versilbern.

Dazu musste der Stripper sich Einfluss auf die Gesellschaft sichern. Und dann den Erlös aus dem Immobilienverkauf möglichst trickreich an den anderen Aktionären, am Finanzamt und dem Pensionssicherungsverein vorbeischleusen. Das hatte ein cleverer Stripper hier mit Hilfe einer Schweizer Bank gemacht und die Aktiengesellschaft um einen zweistelligen Millionenbetrag erleichtert. Dann hatte er seine Aktien und den Vorstandsposten der ausgehöhlten Gesellschaft dem Tirolerhut gegeben, und der sollte die Firma möglichst still und leise beerdigen. Das hatte der aber nicht gemacht, sondern war zu mir gekommen.

Am nächsten Tag habe ich den Fall meinem Chef vorgetragen. Es entwickelte sich in etwa folgender Dialog: Er: „Was schlagen Sie vor?“ Ich: „Finanzieren, gegen 30 % Erfolgsbeteiligung.“ Er: „Gewinnen wir den Prozess?“ Ich: „Wenn wir den verlieren, höre ich hier auf und werde Kneipier.“ Er: „Dann setzen Sie sich hin und entwerfen Sie einen Vertrag. Aber bitte mit 50 % Erfolgsbeteiligung.“

Das Landgericht Hannover wies unsere Millionenklage ab. Wegen Verjährung. Ich war einigermaßen kleinlaut, als ich das meinem Chef berichten musste. Aber der sagte nur: „when the going gets tough, the tough get going.“ So we got going, nämlich vor das Oberlandesgericht Celle. Das sah das mit der Verjährung anders.

Woraufhin die Gegner sich ziemlich schnell mit uns verglichen.

Trotz des schönen Gewinns gab es die Bank danach nicht mehr lange. Und da ich jung war und das Geld brauchte, bin ich dann doch noch irgendwann Anwalt geworden. Obwohl ich den Anwaltsberuf eigentlich schon während der Referendarzeit abgehakt hatte. Wie vorher auch schon Richter, Staatsanwalt oder Verwaltungsjuristen nach den jeweiligen Referendarstationen.

Als Anwalt, nach der Wende in den neuen Bundesländern, stieß ich immer wieder auf die alte Situation: ein Prozess wäre aussichtsreich gewesen. Aber der Mandant hatte das Geld nicht, um ihn zu führen. Oder er hätte Haus und Hof aufs Spiel setzen müssen. Das konnte ich keinem guten Gewissens raten.

Irgendwann habe mich hingesetzt und auf drei oder vier DIN-A-4-Seiten ein Konzept für ein Prozessfinanzierungs-unternehmen gemacht. Ich habe es ein paar Kollegen und Bekannten gezeigt. Die einen sagten: „das kann doch unmöglich erlaubt sein“. Andere: „Das funktioniert nie“. Ein paar aber: „Das ist ja reines Dynamit.“ Mit denen habe ich dann die Foris gegründet, übrigens hier bei einem Notar in Köln. Den Namen Foris hatte ich mir noch schnell am Abend vor dem Notartermin ausgedacht, unter Zuhilfenahme größerer Rotweinmengen.

Die Zeit war günstig. Kurz zuvor hatten Gründungsfieber und Aktienhype begonnen. Die Banken rissen sich um Start-Ups, um sie an den Neuen Markt zu bringen. Vor ziemlich genau 20 Jahren, am 19. Juli 1999 war es dann soweit: Wir bauten ein großes Zelt neben Bulle und Bär vor der Frankfurter Börse auf. Es gab Bier und Champagner. Aber nicht nur das vernebelte die Sinne, sondern auch die Erstnotiz des Kurses an diesem Tag. Die stieg in der Spitze auf das Zweieinhalbfache des ohnehin schon hohen Ausgabepreises für die Aktie

Ich muss es zugeben, wir waren euphorisiert. Wir kauften eine große Büroimmobilie, wir gründeten Tochtergesellschaften, wir eröffneten Büros in Frankfurt, München und New York. Doch dann kamen die Mühen der Ebene. Wir mussten lernen: Prozessfinanzierung ist ein verdammt toughes Geschäft. Viel Geld zu haben war zwar die Mindestvoraussetzung, aber lange nicht ausreichend. Es brauchte spezielles Know-How, eine spezielle Organisation, spezielle Erfahrung und Fingerspitzengefühl, und auch das mussten wir lernen. Wir und unsere sämtlich ganz jungen Mitarbeiter.

Wir mussten lernen, dass von hundert Fällen die an uns herangetragen wurden, drei gute waren. Wir mussten lernen, dass die Qualität des Anwalts die entscheidende Einflussgröße für den Prozesserfolg war. Und wir mussten lernen, dass auch gute Fälle verloren gehen konnten, wenn sie schlecht vertreten wurden.

Die Kunst, wie im richtigen Leben, bestand darin, die Spreu vom Weizen zu trennen. Ungeeignete Fälle mussten wir mit möglichst geringem Zeitaufwand aussieben. Aber auch nicht so, dass uns dabei geeignete Fälle durch die Lappen gingen. Nicht bei allen Anfragen fiel uns die Entscheidung so leicht wie bei der, ob wir die Klage eines Maharadschas gegen das United Kingdom auf Herausgabe der Hälfte von Indien finanzieren würden.

Unsere ehemals begeisterten Anleger lechzten ständig nach neuen sensationellen Meldungen. Aber Prozessfinanzierung ist ein langwieriges und erratisches Geschäft. Die Anleger verloren die Freude an uns. Der Börsenkurs ging auf eine kontinuierliche Talfahrt, in der schlimmsten Zeit sackte er auf weniger als ein Hundertstel seines Ausgabekurses.

Dann kriegten wir auch noch Konkurrenz. Unseriöse, wie auch seriöse. Zu den seriösen darf man glaube ich die Roland Prozessfinanz AG zählen. Dafür bürgen schon allein die illustren Anwälte, die hier eingeladen sind.

Und dafür bürgt Arndt Eversberg. Den habe ich 1999 in München kennengelernt, bei einer der Informationsveranstaltungen, in denen wir unser Geschäftsmodell vorstellten. Mein damaliger mit Vorstand und ich haben ihn vom Fleck weg engagiert. Er wurde leitender Mitarbeiter bei uns und baute zielstrebig und erfolgreich das Münchner Büro auf. Dort wurde er uns dann von der Allianz weggeschnappt, die auch ins Prozessfinanzierungsgeschäft einsteigen wollte.

Mit der Allianz trug Arndt Eversberg übrigens das Geschäft wieder dorthin, wo es 700 Jahre vorher verboten worden war. Inzwischen war das Verbot gefallen, das Geschäftsmodell fand bald zahlreiche Nachahmer und heute dürfte London die Welthauptstadt der Prozessfinanzierung bzw. der Champerty sein. Ein Kreis hatte sich geschlossen

Nach meiner Vorstandszeit bei Foris wurde ich wieder Anwalt.

Anwalt zu sein macht eindeutig mehr Spaß, seit es Prozessfinanzierung gibt.

Man hat einen Mandanten mit einem Anspruch. Und einen Gegner, der den Anspruch bestreitet. Es gibt Gegner, die bestreiten, weil sie sich selbst eingeredet haben, sie wären im Recht. Die meisten Gegner aber wissen, dass sie Unrecht haben. Und bestreiten trotzdem. Sie sitzen auf dem Geld, das unserem Mandanten zusteht. Und sie bestreiten, weil sie hoffen, dass sie gerade deswegen damit durchkommen. Sie hoffen, dass sie unseren Mandanten am langen Arm verhungern lassen können. Ganze Unternehmensstrategien sind darauf aufgebaut, grundsätzlich erst mal nicht zu zahlen und abzuwarten, ob Anspruchsinhaber klagen. Von denen geben viele gleich auf, andere lassen sich auf faule Vergleiche ein. Und die Prozesskosten, die die Unternehmen denen erstatten müssen, die doch klagen und gewinnen? Die sind durch die Einsparungen bei den anderen längst überkompensiert.

Gibt es aber einen Prozessfinanzierer, dann hat diese Arroganz der Macht und des Geldes plötzlich einen ebenbürtigen Gegner. Darüber war die Arroganz der Macht und des Geldes noch nie erfreut. Im Mittelalter nicht. Und heute auch nicht. Prozessfinanzierung ist ihr ein Ärgernis.

Die Musterfeststellungsklage war vom Justizministerium als Wunderwaffe angekündigt. Aber die Unternehmerlobby hat es mühelos geschafft, den vermeintlichen Tiger als Bettvorleger landen zu lassen. Die deutsche Industrie wendet sich gegen jeden Gesetzesvorschlag zur Verbesserung von Verbraucherrechten. Ein Kölner Professor schreibt in der NJW, die Inkassozession von Verbraucherforderungen zum Zweck der gerichtlichen Geltendmachung verstoße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz. Selbst dann, wenn sie an zugelassene Inkassounternehmen erfolgt. Der Aufsatz fußt auf einem von verklagten Unternehmen bezahlten Gutachten. Der Bund der deutschen Unternehmensjuristen polemisiert gegen eine so genannte Klageindustrie und die angeblich exorbitanten 35%igen Erfolgshonorare der Prozessfinanzierer. Dabei können die nach Adam Riese eigentlich nur dann exorbitant sein, wenn vorher die Betrügereien der Unternehmen dreimal so exorbitant waren!

Spätestens nach dem VW-Skandal war die Politik aufgerufen, die Waffen der Bürger gegen solche Betrügereien zu schärfen. Das einzige, was sie zustande gebracht hat, ist die sinnlose und zahnlose Musterfeststellungsklage. Ansonsten: alles wie gehabt. Miserabel ausgestattete Gerichte und fehlende Spezialisierung führen zu überlangen Verfahren. Die unsägliche Zivilprozessreform der SPD-Ministerin Däubler-Gmelin mit ihrer Amputation von Rechtsmitteln hat nichts bewirkt als eine dauerhafte Qualitätsverschlechterung der Urteile der Instanzgerichte. Die Prozesskostenregelungen der ZPO perpetuieren ein strukturelles Ungleichgewicht zwischen Privatleuten und Unternehmen; von Waffengleichheit im Prozess kann keine Rede sein.

Und es ist doch einfach grotesk, dass die Kosten für die Rechtsfortbildung oder die Schließung von Lücken miserabler Gesetze durch den Bundesgerichtshof von der unterlegenen Partei getragen werden müssen – obwohl der Bundesgerichtshof nach seinem eigenen Verständnis gar nicht mehr im Interesse der Partei tätig wird, sondern nur im Interesse der Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen. Das ist etwas, was mich wütend macht.

Damals, als es mit Foris losging, wurde ich oft gefragt: Ist das nicht amerikanische System? Nein, musste ich sagen, in den unternehmerfreundlichen USA werden die Rechte der Verbraucher, der Privatleute und der kleinen Unternehmen vor Gericht sehr viel höher gehalten als bei uns.

Dort gilt es als Interesse der Allgemeinheit, dass Gerichte Streitigkeiten entscheiden. Darum gibt es dort nicht die horrenden und prohibitiven Gerichtskosten wie bei uns.

Dort stellen die Gesetze die Anwälte nicht prophylaktisch unter den Generalverdacht, sie würden zu unlauteren Mitteln greifen, wenn sie erfolgshonoriert arbeiten.

Dort dürfen Prozessparteien entscheidungsrelevante Tatsachen nicht zurückhalten, sondern müssen sie dem Gericht und dem Gegner offenbaren.

Dort gibt es auch nicht unsere starre, schematische und häufig ungerechte „loser pays all“ Regelung.

Keinesfalls will ich behaupten, in den USA wäre alles besser als bei uns. Aber dies ist es schon. Und wenn das alles auch hier so wäre, so hätte ich die Prozessfinanzierung nicht nach 677 Jahren neu erfinden müssen. Und die von VW Betrogenen wären auch bei uns schon entschädigt. Aber wir leben nun mal nicht in einem idealen Deutschland. In einer idealen Welt brauchte es vermutlich nicht einmal Anwälte. Aber die Welt ist tough und darum braucht es uns Anwälte und darum braucht es auch eine Roland Prozessfinanz AG. Vielen Dank, Arndt, dass wir gemeinsam daran arbeiten können, dem Recht ein wenig mehr Geltung zu verschaffen. Und dass wir das hier gemeinsam feiern können. Und nach der Feier heißt es dann wieder: The tough get going.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.

Wer es etwas genauer wissen will, kann es hier lesen…

1 Kommentar zu „Prozessfinanzierung“

  • Lena:

    Danke für diesen Blog. Es wäre doch schön, wenn der Staat für die berechtigen Klagen aufkommt und nicht der Bürger. Dann würden viel mehr Menschen zu ihrem Recht kommen.

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