Archiv für Juli 2012

Dottore oder Professore

(09.07.2012) Mit Doktortitel schmücken sich viele Anwälte, mit Professorentitel auch schon einige. Ich bin mit keinem von beiden geschmückt, außer wenn ich mittags beim Italiener essen gehe. Ich habe viele Jahre darüber gerätselt, warum ich manchmal mit Dottore und manchmal mit Professore angeredet werde – von verschiedenen Kellnern und in verschiedenen ristorantes. Ich glaube, inzwischen weiß ich es: Wer Brille oder Krawatte trägt, ist Dottore – Professore, wer beides trägt. Salute. Sollte ich falsch liegen, bitte E-Mail an mich…

Beschneidungsurteil II

(06.07.2012) Inzwischen haben sich weitere Spitzenvertreter der Evangelischen Kirche den Vorhautabschneidern angebiedert: neben dem Leiter des kirchenrechtlichen Instituts der EKD Hans Michael Heinig auch der Berliner evangelische Landesbischof Dröge .

Aber es formt sich auch Widerstand. Zwei evangelische Pfarrer haben sich mir gegenüber klar gegen die Auffassung der EKD positioniert und zum Ausdruck gebracht, dass die EKD gottseidank nicht die hierarchische Organisation ist, in der die Spitze zu befehlen hat, was der Gemeinde von der Kanzel verkündet wird. Pfarrerin Scheepers von der evangelischen Kirchengemeinde Dahlem hat mir jedenfalls mitgeteilt, dass sie am Sonntag, dem 08. Juli 2012 in ihrem Gottesdienst um 9:30 in der Dorfkirche Dahlem und um 18:00 in der St.-Matthäus-Kirche in Tiergarten ihre von der Kirchenleitung abweichende Meinung kundtun wird.

Beschneidungsurteil

(04.07.2012) Ich stamme aus einer Familie, die seit Generationen viele evangelische Pfarrer und Theologen hervorgebracht hat, u.a. meinen Vater, meine beiden Großväter Otto Güldemeister und Ludolf Müller und meinen Urgroßvater Ludwig Gottlieb Christoph Pfannkuche.
Heute bin ich aus der Evangelischen Kirche ausgetreten.

Da ich dafür mit der Kontinuität einer generationenlangen Familientradition und meines eigenen Lebens brechen musste, ist mir dieser Schritt nicht leicht gefallen. Bewogen hat mich dazu die nachfolgend beschriebene Position der EKD zu dem „Beschneidungsurteil“ des LG Köln. Einer Kirche, die solches im Namen ihrer Mitglieder vertritt, ohne bei diesen auf nennenswerten Widerspruch zu stoßen, kann und will ich nicht mehr angehören:

Hannover/Köln (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) fordert eine Korrektur des umstrittenen Kölner Urteils zur Beschneidung von Jungen. Das Landgericht habe es versäumt, die Religionsfreiheit und das elterliche Erziehungs- und Personensorgerecht mit dem Recht der körperlichen Unversehrtheit des einwilligungsunfähigen Kindes angemessen abzuwägen, sagte der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hans Ulrich Anke, am Mittwoch in Hannover. Die Entscheidung bedürfe deshalb der Korrektur, denn es sei auf jeden Fall nötig, dass es in dieser Frage Rechtssicherheit gebe.

Das Landgericht Köln hatte die Beschneidung eines minderjährigen Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet. Die Richter argumentierten, die religiöse Beschneidung sei ein dauerhafter und irreparabler Eingriff für das Kind.

Das Landgericht leiste die gebotene Abwägung verschiedener Rechtsgüter nicht in der erforderlichen Weise, argumentierte der Kirchenamtspräsident: „Die Beschneidung hat für Juden und Muslime eine zentrale religiöse Bedeutung. Dieses berücksichtigt das Urteil nicht hinreichend.“ Das elterliche Recht der Personensorge gerade auch in religiösen Dingen sei ein hohes Rechtsgut, denn es diene gerade dem Wohl des Kindes. Die religiöse Erziehung sei deshalb ein wichtiges Elternrecht, ergänzte der Jurist.
Dem Kind stehe später offen, sich von der religiösen Ausrichtung zu lösen. Eine fachlich einwandfrei vollzogene Beschneidung, die im Übrigen von der Genitalverstümmelung abzugrenzen sei, hindere es daran nicht. Und eine solche Beschneidung führe, auch wenn sie einen bleibenden körperlichen Eingriff darstelle, nicht zu einem körperlichen Schaden.“

Zur Erinnerung: Ein Arzt hatte ein vierjähriges Kind auf Verlangen von dessen muslimischen Eltern beschnitten. Infolge dessen traten schwere gesundheitliche Komplikationen bei dem Kind auf. Der Fall wurde der Staatsanwaltschaft bekannt und sie klagte den Arzt wegen vorsätzlicher Körperverletzung an.

Das Landgericht hat den Arzt freigesprochen. Allerdings nur, weil der Arzt sich damit verteidigen konnte, er hätte geglaubt, nichts Unrechtes zu tun. In Zukunft allerdings könne sich niemand, der ein Kind beschneidet, mehr auf einen solchen „Verbotsirrtum“ berufen. Denn durch die Veröffentlichung des Urteils könne ab nun jeder wissen, dass das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit unantastbar sei.

Eine Beschneidung, in die der Betroffene einwillige, sei zwar nicht rechtswidrig. Ein minderjähriges Kind sei jedoch nicht einwilligungsfähig. Seine Einwilligung könne auch nicht durch eine solche der Eltern ersetzt werden, die nicht aus medizinischer Notwendigkeit, sondern aus religiösen oder rituellen Gründen erfolge. Eine solche Einwilligung sei nicht wirksam. Ein „Elternrecht“ auf Beschneidung ihres Kindes gebe es nicht. Es folge auch nicht aus dem Grundrecht der Religionsausübung. Denn dieses berechtigt niemanden, das Grundrecht anderer auf körperliche Unversehrtheit zu verletzen. Auch nicht das der eigenen Kinder. Eine Beschneidung müsse deshalb Zeit haben, bis der Betroffene volljährig sei.

Diese Rechtsauffassung des Landgerichts Köln ist nach meiner Überzeugung nicht nur die nach deutschem Recht einzig richtige und vertretbare; sie ist es auch in moralischer Hinsicht. Niemand, der mit Ernst und Sorgfalt die Fragen zu Ende denkt, kann guten Gewissens zu einem anderen Ergebnis kommen.

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die die Beschneidung aus Gesundheitsgründen befürwortet, fordert, dass die Beschneidung von Männern nur nach ausreichender Information, freiwilliger Zustimmung und ohne Zwang durchgeführt wird („Countries should ensure that male circumcision is provided with full adherence to medical ethics and human rights principles, including informed consent, confidentiality, and absence of coercion“). Diese Kriterien können bei Säuglingen und Kindern nie erfüllt sein. Abgesehen davon treten die von den Befürwortern der Beschneidung aus gesundheitlichen Gründen angeführten – aber keineswegs unbestrittenen – angeblichen Vorteile ohnehin erst bei Erreichen des Volljährigkeitsalters ein.

Gleichwohl haben die Vertreter der Religionen sofort nach Bekanntgabe des Urteils ein riesiges Geschrei erhoben. Zwar frage ich mich, was das für eine armselige Religion sein muss, von deren Lehren – den jetzigen Äußerungen ihrer Sprecher zufolge – angeblich nichts Wesentliches mehr übrigbleibt, wenn man die blutige Genitalverstümmelung unschuldiger Knaben weglässt? Von denen, die die Beschneidung seit ihren Urzeiten praktizieren, war wohl nichts anderes zu erwarten. Ebensowenig von der Katholischen Kirche, obwohl die wohl allen Grund hätte, sich einmal für eine Weile von den Genitalorganen minderjähriger Knaben fernzuhalten.

Anders bei der Evangelischen Kirche, deren oberste Vertreter sich nun auch noch bemüßigt gefühlt haben, ihren Senf dazuzugeben und mit ihrer oben zitierten Stellungnahme in diese unsägliche Kakophonie einzustimmen.

Ich hatte auch in der Vergangenheit viele Zweifel an „meiner“ Kirche und ihrer Lehre. Ich bin ihr trotzdem treu geblieben, weil ich mich aus ebenso vielen Gründen ihr und dem Christentum zugehörig gefühlt habe. Weil die Evangelische Kirche sich unter Luther von der machtversessenen und heuchlerischen Theorie und Praxis der katholischen Kirche abgewandt hat. Weil die ihr angehörenden Theologen ihre Lehren nicht mit Folter und Inquisition verbreitet haben, sondern durch die Macht des Wortes. Weil sie in ständiger und bis heute andauernder kritischer Auseinandersetzung mit den Teilen der Bibel stehen, die nichts mit dem Kern ihrer spirituellen und moralischen Botschaft zu tun haben, sondern nur noch mit den Irrtümern, den archaischen Anschauungen und atavistischen Ritualen eines Nomadenvolkes vor dreitausend Jahren. Für mich stand die Evangelische Kirche auch für die frohe Botschaft an das Leben im Diesseits. Sie stand auch für die Versöhnung der Religion mit der Aufklärung, mit Rechtsstaatlichkeit und unveräußerlichen Individualrechten, für Freiheit und Menschenwürde – Werte, die unser Grundgesetz unter Berufung auf Gott übernommen hat.

Von alledem hat sich nun die EKD verabschiedet. Ihr Spitzenjurist postuliert – nach meiner Überzeugung wider besseres Wissen – ein Grundrecht von Eltern darauf, ein nutzloses, blutiges und widernatürliches Ritual an ihren Kindern zu vollstrecken, um ihnen die eigene religiöse Identität aufzuzwingen? Damit vertritt die EKD eine nicht nur moralisch unhaltbare, sondern auch mit unserem Grundgesetz unvereinbare Position. Schon allein die sophistische und manipulative Wortklauberei und Rabulistik: die Beschneidung sei keine Genitalverstümmelung! Ja, was ist sie denn sonst? Und das Fehlen eines Körperteils sei kein Schaden. Ja, was ist es denn sonst? Und die Forderung nach angeblicher Rechtssicherheit! – stimmt doch gar nicht! Die Rechtssicherheit gibt es doch, denn die Beschneidung Minderjähriger ist schlicht und einfach verboten. Wo ist da die Rechtsunsicherheit?? Was im heuchlerischen Gewand der Forderung nach Rechtssicherheit herkommt, ist doch in Wirklichkeit die Forderung nach einer Legalisierung der rituellen Genitalverstümmelung durch den Gesetzgeber.

Zwar verlangt die Evangelische Kirche nicht von ihren eigenen Gläubigen, ihre Kinder zu beschneiden. Aber wenn sie solche Rituale anderer Religionen verteidigt – und sei es nur, um sich ihnen anzubiedern – und sie gar zum religiösen „Grundrecht“ erklärt, macht sie sich nicht nur mit diesen Praktiken gemein. Sie offenbart damit außerdem eine für mich unter keinem Gesichtspunkt mehr akzeptable Grundhaltung zu Fragen der Eltern-Kind-Beziehung, zur Religionsfreiheit, zu Rechtsstaat und zu Menschenrechten. Zum Grundrecht der Religionsfreiheit gehört auch die negative Religionsfreiheit. Das ist die Freiheit, seine Religion zu wechseln oder sich von ihr zu lösen. Diese Freiheit wird im Wortsinne „beschnitten“, wenn Eltern ihre Kinder durch irreversible Manipulationen an ihrem Körper stigmatisieren, um sie an ihre Glaubensgemeinschaft zu binden.

Lasset die Kinder zu mir kommen – um sie zu verstümmeln?

Ich habe sofort nachdem ich von der Verlautbarung Kenntnis hatte, an die EKD geschrieben und um eine Stellungnahme gebeten. Die EKD hat es nicht für nötig gehalten zu antworten. Ich habe auch nirgendwo etwas von innerkirchlichem Widerspruch gesehen. Eine Kirche, die solche Positionen einnimmt und nicht einmal bereit ist, noch darüber zu diskutieren, ist keine, der ich guten Gewissens noch angehören und deren furchtbare Juristen ich durch meine Kirchensteuern alimentieren will und kann.

P.S.: Herr Hans-Ulrich Anke hat mir inzwischen durch seine persönliche Referentin antworten lassen, indem er mir einen Artikel des Leiters des kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland Hans-Michael Heinig geschickt hat. Darin wird das Urteil als „Triumph antireligiöser Eiferer“ beschimpft.
Mir scheint, dass meine Entscheidung richtig war…